Fallbeispiel 2
Autor: Jan-Henning Klusmann, Redaktion: Prof. Dr. med. Ursula Creutzig, Zuletzt geändert: 11.04.2006
https://kinderkrebsinfo.de/doi/e6337
Anamnese
Acht Jahre alter Junge ohne wesentliche Erkrankungen in der Vorgeschichte.
Vor drei bis vier Wochen waren Aphten im Mund aufgefallen. Seit zwei Wochen bestehende Schwäche und Müdigkeit, die mit einer Blässe und einer Gewichtsabnahme von einem Kilo einherging. Wenige Tage vor Einlieferung ambulante Behandlung bei einem Chirurgen wegen eines Panaritium am linken Mittelfinger.
Nächtliche akute Vorstellung in einer Kinderklinik wegen Priapismus.
Aufnahmebefund
Achtjähriger Junge, 1,24 m groß und 21,5 kg schwer, in ausreichendem Allgemeinzustand und normalem Ernährungszustand. Insgesamt blasses Integument.
Cor
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Herztöne rhythmisch und rein, keine Nebengeräusche
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Pulsstatus
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regulär, gut palpabel
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Pulmo
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seitengleich belüftet, keine Rasselgeräusche, keine Obstruktion
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Abdomen
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weich, keine Abwehrspannung, lebhafte Darmgeräusche, Hepatosplenomegalie: Leber bis 3cm unter dem Rippenbogen tastbar, Milz bis 2cm unter dem Rippenbogen tastbar
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Genital
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Priapismus, beide Hoden im Skrotum tastbar
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neurologischer Status
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unbeeinträchtigt, voll orientiert
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Kommentar 1:
Hinweise auf Leukämie: Schwäche, Müdigkeit, Blässe, Gewichtsabnahme, Priapismus, Hepatosplenomegalie.
Diagnostik
Labor
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Laborbefund
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Echokardiographie
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Tag 3: gute Myokardfunktion, FS 40%, kein Hinweis auf strukturellen Herzfehler, kein Perikarderguss
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MRT-Schädel
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Tag 3: Hirnparenchym allseits regelrecht angelegt und myelinisiert, vor und nach KM-Gabe keine pathlogische Signalveränderung (auch nicht meningeal), unauffällige Liquorräume; NB: Schleimhautschwellung in den mit abgebildeten NNH und im pneumatisierten Felsenbein
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Augenarztkonsil
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Tag 6: reizfreie VAA, klare Medien, Papillen vital, etwas randunscharf, geringfügige Tortuositas vasorum, links kleine intraretinale Blutung, Netzhaut anliegend, kein Anhalt für leukämoide Infiltrate
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Verlauf
Tag 1
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3.00h
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Aufnahme wegen akutem Priapismus
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Abpunktion von 1ml Blut
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Gabe von Piritramid (Dipidolor) und Etilefrin (Effortil)
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Blutbild
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Hyperleukozytose
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11.00h
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Verlegung in eine Spezialklinik bei sonst stabilem Zustand
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Spezialklinik
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Knochenmarkpunktion
Blutbild
Infusion von Antibiotika
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Verlegung in eine zweite Spezialklinik (bessere intensivtherapeutischen Therapiemöglichkeiten) mit Verdacht auf akute myeloische Leukämie
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20.00h
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Intensivstation
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Legen eines Shaldon-Katheters in die rechte V. femoralis
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Tag 2
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1.00h
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- Beginn der Austauschtransfusion (über 15 Stunden)
- mehrfache Unterbrechung wegen Gerinnselbildung im System
- Leukozyten: vor Austausch: 362.500/µl nach Austausch: 145.000/µl
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bei gleichzeitiger Thrombozytopenie Gabe von 480ml Thrombozytenkonzentrat
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Therapie
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- Hydrierung (4,5 ml/kg/h Glucose 5% und NaCl 0,9%)
- Alkalisierung (abhängig vom Urin-pH)
- Chemotherapie mit Cytarabin KI (40mg/m²) Hydroxyurea (18 mg/kg KG), dann DTI Cytarabin (102 mg/m²/24h)
- Diurese (Furosemid (Lasix) bilanzabhängig)
- Antibiose (Colistin, Sulfamethohexazol+Trimethoprim (Kepinol), Ceftriaxon (Rocephin))
- antimykotische Medikamente(Amphotericin (Ampho Moronal))
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dreimalige Gabe von Rasburicase (3 x 0,2 mg/kg KG) notwendig: Harnsäure bei 3,1mg/dl (12.00h), unter Rasburicase Abfall des Harnsäure-Spiegel auf 0,5mg/dl
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Tag 5
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Labor
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Leukozyten bei 36.500/µl
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auf die Gabe von Vancomycin: Red-Man-Syndrom, komplikationslos verlaufen
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Induktions-therapie
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- Idarubicin (12 mg/m² über vier Stunden)
- Cytarabin KI (102mg/m²/24h)
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Tag 6
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Lumbalpunktion
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- gleichzeitig intrathekale Gabe von Cytarabin(46 mg/m²)
- vor der Lumbalpunktion Thrombozytenkonzentrat substituiert
- zwei verdächtige Zellen im Liquor
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Tag 7
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Rückverlegung
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- stabile Situation
- Leukozyten bei 1.890/µl
- Thrombozyten bei 8.700/µl
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insgesamt
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stabile Situation, zu keiner Zeit Intubationspflicht. Die Intensivtherapie gestaltete sich stabil, es bestand zu keiner Zeit Intubationspflicht
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Kommentar 2:
Bei gutem Allgemeinzustand trotz Priapismus und Hyperleukozytose wurde das Kind erst nach 6 Stunden in eine Spezialklinik verlegt. Hier wurde nach einer Knochenmarkpunktion die Verdachtsdiagnose einer akuten myeloischen Leukämie gestellt. Um dem Kind in weiter bestehendem guten Allgemeinzustand und persistierender Hyperleukozytose eine optimale intensivmedizinische Therapie zu ermöglichen, erfolgte ein erneuter Transport in eine weitere Spezialklinik, wo 22 Stunden nach primärer Vorstellung eine Austauschtransfusion mit anschließenden weiteren Maßnahmen (Rasburicase, Cytarabin) zur Reduktion der Leukozyten begonnen wurde.