Stammzellgewinnung aus dem Knochenmark
Autor: Dr. med. habil. Gesche Tallen, Dr. med. Jörn Kühl, Redaktion: Maria Yiallouros, Zuletzt geändert: 19.06.2023 https://kinderkrebsinfo.de/doi/e76947
Der ideale Ort zur Gewinnung von Blutstammzellen aus dem Knochenmark ist der Beckenkamm. Denn dort ist das Knochenmark nur durch eine relativ dünne Knochenschicht von der Haut getrennt, so dass die Entnahme ohne wesentliches Risiko erfolgen kann.
Durch mehrfache Punktionen an beiden Beckenkammknochen werden dem Spender, nach vorheriger eingehender Untersuchung, 100 bis maximal 1.500 ml Knochenmarkblut entnommen. Entscheidend ist dabei die Zahl der Stammzellen im Transplantat. Die benötigte Entnahmemenge richtet sich nach dem Gewicht des Empfängers; allerdings hat der Schutz des Spenders dabei immer Vorrang.
Für den Empfänger des Transplantats ist wichtig, dass die Zahl der blutbildenden Stammzellen für den Wiederaufbau der Blutbildung ausreicht. Beim Spender wird berücksichtigt, dass höchstens 25 % seines Gesamt-Blutvolumens für die Transplantation entnommen werden und er möglichst nicht auf eine Bluttransfusion zum Ausgleich des Blutverlustes angewiesen ist. Möglicherweise erhält der Spender als Ersatz aber Eigenblut zurück, das ihm vorsorglich vor der Stammzellgewinnung entnommen wurde.
Die Punktionen zur Stammzellgewinnung unterscheiden sich in ihrer Durchführung nicht von den Knochenmarkpunktionen, die bei den meisten Patienten im Rahmen der Krebsbehandlung vorgenommen werden. Allerdings sind mehrere Punktionen notwendig, um genügend Stammzellen für eine hämatopoetische Stammzelltransplantation (HSZT) zu gewinnen. Diese werden von nur einer Punktionsstelle im Beckenkamm ausgehend fächerförmig durchgeführt. Damit dabei keine Schmerzen auftreten, erfolgt der Eingriff nur in Vollnarkose.
Zunächst wird (werden) der Spender (beziehungsweise die Eltern oder Erziehungsberechtigten) durch einen Arzt über die Spende aufgeklärt. Bei Einverständnis überprüft dieser Arzt den Spender auf seine Tauglichkeit und gibt ihn dann für die Entnahme frei. Aus rechtlichen Gründen dürfen die Ärzte, die den Patienten behandeln und der Arzt, der die Spenderfreigabe für die Entnahme erteilt, nicht identisch sein.
Rechtzeitig vor dem Eingriff untersucht ein Narkosearzt (Anästhesist) den Spender hinsichtlich seiner Narkosefähigkeit; die Befunde der Voruntersuchungen werden diesbezüglich genau überprüft. Der Eingriff darf nur durchgeführt werden, wenn der Knochenmarkspender zuvor durch den freigebenden Arzt, den Narkosearzt und meist noch durch den Arzt, der die Punktion durchführen wird, ausführlich über die Risiken des Eingriffs aufgeklärt wurde und schriftlich sein Einverständnis gegeben hat. Bei minderjährigen Spendern beziehungsweise bei betroffenen Kindern und Jugendlichen, bei denen eine autologe Stammzelltransplantation angezeigt ist, sind es deren Eltern / Erziehungsberechtigten, die entsprechend aufgeklärt werden und einwilligen müssen. Das Narkoserisiko für gesunde Spender ist minimal. Gerade bei kleinen Kindern sollten die Eltern jedoch darauf achten, dass diese keinen frischen Infekt vor der OP entwickeln.
Das gewonnene Knochenmark ist wie normales fließendes Blut flüssig und ähnelt diesem auch in seinen Bestandteilen. Es hat lediglich einen höheren Anteil an weißen Blutzellen (Leukozyten) und deren Vorläuferzellen, zu denen auch die beschriebenen Stammzellen gehören. Genau diese Zellen werden benötigt, denn sie sind für die Regeneration des Empfänger-Knochenmarks, wie sie mit einer Stammzelltransplantation angestrebt wird, verantwortlich.
Die im Transplantat enthaltenen reifen roten Blutkörperchen werden nicht benötigt und können daher mit Hilfe bestimmter labortechnischer Verfahren abgetrennt und dem Spender zurücktransfundiert werden. Damit wird der Blutverlust geringgehalten. In den allermeisten Fällen ist dies aber nicht notwendig, da der Körper gut in der Lage ist, die entnommenen Zellen zeitnah nachzubilden.
Wichtig für den Spender: Die Zellen des gesunden Knochenmarks besitzen die außerordentliche Fähigkeit, sich selbst zu vermehren. Deshalb kann das Knochenmark in kürzester Zeit den entstandenen Zellverlust wieder ausgleichen. Das entnommene Knochenmark bildet sich innerhalb von zwei Wochen wieder nach, so dass dem Spender durch die Knochenmarkspende kein bleibender Schaden zugefügt wird. Zur Unterstützung der Blutnachbildung kann für einige Wochen die Einnahme von Eisen sinnvoll sein. Die Knochenmarkentnahme kann für den Spender vorrübergehend mit leichten Befindlichkeitsstörungen (wie Müdigkeit oder Schmerzen an den Punktionsstellen) verbunden sein.