Strahlenarten und ihre Anwendungen in der Kinderkrebsheilkunde

Autor:  Ingrid Grüneberg, Zuletzt geändert: 14.03.2022 https://kinderkrebsinfo.de/doi/e211299

Manche Strahlenarten sind in der Natur vorhanden, so wie Weltraum-, Sonnen- oder Erdstrahlen. Daneben gibt es künstlich erzeugte Strahlen, die unter anderem für medizinische Zwecke genutzt werden. Dazu gehören zum einen Röntgenstrahlen für bildgebende Verfahren und therapeutische Maßnahmen. Zum anderen gibt es radioaktive Strahlen (wie Gammastrahlen) oder Teilchenstrahlen (Partikelstrahlen), die in der Strahlentherapie eingesetzt werden. Röntenstrahlen und Gammastrahlen gehören zu den elektromagnetischen Strahlen.

Strahlung bedeutet Übertragung von Energie, die auf unterschiedliche Weise erfolgen kann. Energieträger können elektromagnetische Wellen oder Teilchen (Partikel) sein.

Elektromagnetische Strahlung

Die elektromagnetische Strahlung wird in Form von elektromagnetischen Wellen in unterschiedlichen Ausprägungen übertragen [KID2019]. Sie besteht aus kleinen Energieeinheiten, den Lichtteilchen oder Photonen (von griechisch Photos, Licht) [SPE2019a‎]. Zu den elektromagnetischen Strahlen gehören die Röntgenstrahlung, die energiereichere – und nach den Lichtteilchen benannte – Photonenstrahlung und die Gammastrahlung. Die verschiedenen Strahlen unterscheiden sich im Wesentlichen durch die Art ihrer Entstehung und ihren Energiegehalt.

Röntgenstrahlen / Photonenstrahlen

Röntgenstrahlen werden in einem elektrischen Spannungsfeld künstlich erzeugt, in dem Elektronen in einer Röntgenröhre oder einem Linearbeschleuniger auf eine sehr hohe Geschwindigkeit gebracht und abgebremst werden. Dabei setzen sie Energie, in Form von Photonen (Lichtteilchen), ab. Da es sich hierbei um elektromagnetische Wellen handelt, ist entscheidend, in welcher Schwingungsanzahl (Frequenz) diese laufen. Je höher die Frequenz ist, desto höher ist die Energie. In Abhängigkeit von der Beschleunigungsstärke und anderen physikalischen Gegebenheiten werden unterschiedlich starke Energien erzeugt. Diese werden in KiloElektronenvolt (keV) oder MegaElektronenvolt (MeV) gemessen. In Röntgenröhren werden Energiezustände bis zu einem KiloElektronenvolt (keV) erzeugt, in Linear oder Kreisbeschleunigern bis zu 20 MegaElektronenvolt (MeV) [SPE2019b‎] [TIM2018a].

Der Begriff „Röntgenstrahlen“ wird in der Strahlentherapie zumeist für erzeugte Energiezustände unter einem KiloElektronenvolt (keV) verwendet und in weiche (bis 100 keV) und harte (100 – 1000 keV) Röntgenstrahlen unterteilt. Ultraharte Röntgenstrahlen, die im MegaElektronenvolt-Bereich (MeV) liegen, werden als „Photonenstrahlen“ bezeichnet.

Die physikalische Wirkungsweise von Photonen ist die folgende: Wenn Photonen auf den Körper auftreffen, geben sie unmittelbar nach ihrem Eintritt in den Körper bereits Energie ab. Dabei sinkt die Energiedosis stetig auf ihrem Weg durch das menschliche Gewebe ab. In einer Gewebetiefe von 3 cm wirken Photonen am effektivsten [TIM2018a][HEI2019].

Anwendung von weichen, harten und ultraharten Röntgenstrahlen in der Strahlentherapie

  • Weiche Röntgenstrahlen haben eine maximale Photonenenergie von etwa 100 keV und eine mittlere Eindringtiefe in Wasser zwischen 1 mm und 5 cm. Dies entspricht in etwa der Eindringtiefe im menschlichen Gewebe. Weiche Röntgenstrahlen werden zur Oberflächentherapie von beispielsweise Hauttumoren eingesetzt.
  • Harte Röntgenstrahlen mit einer maximalen Photonenenergie von 100 – 1000 keV und einer mittleren Eindringtiefe in Wasser zwischen 5 und 15 cm werden zur schmerzstillenden Bestrahlung in mittleren Tiefen, zum Beispiel bei Reizzuständen von Gelenken, Muskeln und Sehnen verwandt.
  • Ultraharte Röntgenstrahlen mit einer maximalen Photonenenergie von über 1000 keV (und einer mittleren Eindringtiefe in Wasser zwischen 15 und 50 cm) werden zur Bestrahlung von Tumoren in größeren Tiefen eingesetzt [SPE2019‎].

Gammastrahlung (radioaktive Strahlung)

Gammastrahlung entsteht durch den Zerfall von Atomkernen radioaktiver Elemente wie beispielsweise Cobalt oder Iridium. Dabei wird hochenergetische Photonenstrahlung freigesetzt. Gammastrahlung wird bei besonderen Formen der Strahlentherapie (siehe Kapitel "Brachytherapie") eingesetzt.

Anwendungsgebiete von elektromagnetischer Strahlung in der Kinderkrebsheilkunde

Hinsichtlich der Anwendung betrachtet man zunächst, wo sich die Strahlenquelle befindet. Bei einer Bestrahlung, die von außen in den Körper eindringt, spricht man von Teletherapie oder perkutaner Strahlentherapie; bei einer Bestrahlungsquelle, die am oder innerhalb des menschlichen Körpers angebracht wird, von Brachytherapie. (Siehe Kapitel „Bestrahlungstechniken“).

Zurzeit werden mehr als 90% der teletherapeutischen Bestrahlungen, (siehe Kapitel "Bestrahlung von außen") mit hochenergetischen Röntgen- bzw. Photonenstrahlen und Gamma-Strahlen in Energiebereichen von 50 Kiloelektronenvolt (keV) bis 20 Megaelektronenvolt (MeV) durchgeführt. Gammastrahlen werden dabei eher im Nah-Bereich des Körpers angewandt. Dabei wird die Strahlenquelle auf der Körperoberfläche oder im Körperinneren (siehe Kapitel "Brachytherapie") platziert [TIM2018a].

Teilchenstrahlung (Partikelstrahlung)

Bei der Partikelstrahlung erfolgt der Transport und die Verbreitung der Energie durch Teilchen (Partikel), die sich rasend schnell vorwärtsbewegen. Die Teilchen werden in speziellen Geräten, so genannten Teilchenbeschleunigern, durch Abspaltung von Atomkernen erzeugt. Je nach Art der verwendeten Atome beziehungsweise Atomkerne gibt es unterschiedliche Teilchen, Protonen und Schwerionen.

Seit 1954 werden Protonenstrahlen in den USA zur Behandlung angewandt. In West-Europa wurde die Protonentherapie erstmalig 1984 in der Schweiz, am Paul Scherrer Institut (PSI) in Villigen, eingeführt. In Deutschland gibt es seit wenigen Jahren sechs Einrichtungen, an denen Protonentherapie möglich ist: in Berlin, Dresden, Essen, Heidelberg, Marburg und München. In Berlin ist die Protonentherapie zurzeit auf die Behandlung von Augentumoren beschränkt [TIM2010].

Auch radioaktive Strahlenarten, wie Alphastrahlung und Betastrahlung, gehören in die Gruppe der Teilchenstrahlung. Diese beiden Strahlungsarten werden in der Kinderkrebsheilkunde jedoch nicht eingesetzt.

Protonenstrahlen

Selbst kleine Bausteine der Materie, die Atomkerne, bestehen wiederum aus einzelnen Teilchen, zum Beispiel aus ungeladenen Neutronen und positiv geladenen Protonen. In der Medizintechnik werden – zur Erzeugung der Protonenstrahlung – in sogenannten Protonenbeschleunigern aus Wasserstoffkernen Protonen zunächst isoliert und anschließend aufgeladen. Dabei erreichen die Protonen eine extrem hohe Geschwindigkeit (halbe Lichtgeschwindigkeit). Ein Protonenstrahl würde ungebremst 30 cm tief in den menschlichen Körper eindringen [HEI2019]. Spezielle Bremsvorrichtungen (Magnete) an den Therapiegeräten verhindern eine solche ungebremste Durchdringung des menschlichen Gewebes und erlauben zudem, dass der Protonenstrahl sehr zielgerichtet eingesetzt werden kann.

Bei der Anwendung von Protonenstrahlen machen sich Strahlentherapeuten bestimmte physikalische Eigenschaften dieser Strahlenart zunutze. Protonenstrahlen geben beim Eintritt ins Gewebe wenig Energie ab. Erst bei ihrer Abbremsung „explodieren“ sie förmlich, geben also die höchstmögliche Dosis schlagartig und punktgenau ab. Mit einer solchen Genauigkeit lässt sich also der Tumorbereich gezielt ansteuern. Dadurch ist die Strahlenbelastung des neben und hinter dem Tumor liegenden Gewebes sehr gering.

Anwendungsgebiete von Protonenstrahlen in der Kinderkrebsheilkunde

„Im Rahmen der GPOH-Studien werden Protonen bei lokalisierten Hirntumoren und sarkomatösen Erkrankungen (Sarkom) eingesetzt. Bei Kindern und Jugendlichen ist eine Therapie mit Protonenstrahlen aufgrund der günstigen physikalischen Eigenschaften angezeigt, allerdings ist die Verfügbarkeit von entsprechenden Zentren in Deutschland noch beschränkt [TIM2018a].

Schwerionenstrahlen

Im Unterschied zu Protonen, die aus Wasserstoffkernen isoliert werden, entstehen Schwerionen aus Kohlenstoffkernen. Diese sind schwerer und „durchschlagender“ als Protonen.

Anwendungsgebiete von Schwerionenstrahlen in der Kinderkrebsheilkunde

Die Anwendung von Schwerionen zur Strahlentherapie bei Kindern und Jugendlichen ist eher selten. Die Strahlentherapeuten müssen bei dieser Zielgruppe spezielle Genehmigungen einholen [TIM2018a]. In der Erwachsenenonkologie wird die Schwerionentherapie beispielsweise bei Chordomen und Chondrosarkomen angewandt [HEI2019].