Wann wird Palliativversorgung bei krebskranken Kindern/Jugendlichen notwendig und welche Ziele und Standards hat sie?
Autor: Dr. med. Gesche Riabowol (nee Tallen), Redaktion: Maria Yiallouros, Freigabe: Prof. Dr. med. Ursua Creutzig, Zuletzt geändert: 17.04.2024 https://kinderkrebsinfo.de/doi/e172350
Inhaltsverzeichnis
Bei den meisten Patienten lässt sich zum Zeitpunkt der Diagnosestellung ihrer Krebserkrankung nicht vorhersagen, ob sie jemals eine Palliativversorgung benötigen werden. Die Notwendigkeit ergibt sich vielmehr aus dem individuellen Krankheitsverlauf. Dieser kann, je nach Ansprechen auf die Therapie und deren Verträglichkeit, von Patient zu Patient unterschiedlich sein.
Indikation und Bedeutung der Palliativversorgung
Eine Palliativversorgung ist meist angezeigt, wenn die Krebserkrankung fortschreitet oder, nach einer zunächst erfolgreichen Therapie, erneut auftritt und nicht auf die durchgeführten Behandlungen anspricht, die die Heilung des Patienten bezwecken. Sie beinhaltet die umfassende, das heißt, ganzheitliche Versorgung des Patienten unter Einbeziehung körperlicher, emotionaler, sozialer und spiritueller Aspekte und dient der Verbesserung der Lebensqualität des Kindes/Jugendlichen und der Unterstützung der Familie.
Wie lange die Palliativphase dauert beziehungsweise ab wann eine Palliativversorgung angezeigt ist, hängt von der persönlichen Situation, insbesondere vom Krankheitsstadium des einzelnen Patienten ab. Der Begriff „Palliativtherapie“ bezieht sich nicht nur auf die Lebensendphase.
Ziele der Palliativversorgung
Im Zentrum der pädiatrischen Palliativversorgung stehen die schwerkranken Kinder und Jugendlichen sowie deren Familien. Die Palliativversorgung zielt auf:
- die Behandlung von körperlichen und seelischen Beschwerden (siehe Kapitel „Symptomerfassung und Therapie“)
- eine lebensverlängernde Versorgung (zum Beispiel durch Bluttransfusionen, Chemotherapie, Bestrahlung, Operationen)
- die Optimierung der Lebensqualität des Patienten und die familienunterstützende Versorgung/Trauerarbeit (siehe Kapitel „Bedürfnisse und Unterstützung“)
Pädiatrische Palliativversorgung soll allen Kindern und Jugendlichen zugutekommen, die ihrer bedürfen, ebenso wie deren Angehörigen. Sozialer Status, Herkunft oder Religion der Familie sind dabei nicht von Belang. Ziel ist es, den Betroffenen eine angemessene medizinische, psychologische, soziale und spirituelle Unterstützung und Begleitung zu ermöglichen. Die palliative Versorgung richtet sich nach dem Willen sowie den Wünschen und Bedürfnissen des Patienten und seiner Familie. Dabei spielt die persönliche Lebensgeschichte und -situation des Patienten eine wichtige Rolle.
Standards der Palliativversorgung
Im Rahmen der Palliativversorgung von Kindern und Jugendlichen (in Europa) können die Betroffenen die im Folgenden aufgeführten Standards erwarten.
Gleichheit
Jedes Kind beziehungsweise jeder Jugendliche hat, ungeachtet der finanziellen Möglichkeiten seiner Familie, gleichermaßen Zugang zur Palliativversorgung.
Versorgung im Interesse des Kindes/Jugendlichen
Die Palliativversorgung erfolgt im Interesse des Kindes / des Jugendlichen. Dies bedeutet konkret:
- Das Wohl des Patienten hat bei jeder medizinischen Entscheidung die oberste Priorität.
- Es soll auf Behandlungen verzichtet werden, die den Patienten belasten, ohne ihm einen erkennbaren Nutzen zu bringen.
- Schmerzen und andere Beschwerden werden, wann immer Bedarf besteht, angemessen medikamentös und/oder nicht-medikamentös behandelt.
- Die Behandlung erfolgt mit Würde und Respekt, unabhängig von den körperlichen oder intellektuellen Fähigkeiten des Patienten.
- Der Patient hat Recht auf eine Privatsphäre.
- Besondere Bedürfnisse von Jugendlichen und jungen Erwachsenen werden berücksichtigt und deren Erfüllung rechtzeitig und gemeinsam geplant.
Informationsvermittlung und unterstützende Gespräche
Das palliative Versorgungsteam unterstützt die Betroffenen mit Informationen und Gesprächsangeboten. Konkret bedeutet dies:
- dass umfassende Informationen über den Gesundheitszustand des Patienten, die Therapiewahl, eventuelle Therapieänderungen und die sich daraus ergebenden Folgen für den Patienten und seine Angehörigen bereitgestellt werden,
- dass die Informationen altersgerecht für den Patienten (und bei Bedarf auch für dessen Geschwister) formuliert werden,
- dass die Betroffenen bei der Bewältigung ethischer Fragestellungen und Konflikte unterstützt werden, bei Bedarf unter Einbeziehung eines Seelsorgers oder eines weiteren Spezialisten. Ein solcher Unterstützungsbedarf kann zum Beispiel gegeben sein, wenn Therapieentscheidungen besonders schwerfallen und Gewissenskonflikte unter den Beteiligten auslösen.
Spezielle Versorgungsstrukturen
In der Palliativphase sollte die Versorgung möglichst zuhause erfolgen. Um dies zu ermöglichen, haben die Betroffenen Anspruch auf die Unterstützung durch ein spezialisiertes Team (siehe Kapitel „Zuständigkeiten“).
Sonstige Hilfen
Sonstige Hilfen beinhalten beispielsweise:
- die Fachberatung zu Hilfsmittelversorgung und finanziellen Hilfen
- die Betreuung von Geschwistern
- die psychologische Unterstützung der ganzen Familie in der Lebensendphase sowie bei der Trauerarbeit nach dem Tod des Patienten
- die seelsorgerische und/oder religiöse Betreuung
Bildung
Der Patient wird (so lange wie möglich) bei Schulbesuchen unterstützt. Auch werden Möglichkeiten geschaffen, die dem Patienten erlauben, altersgerechten Aktivitäten nachzugehen.