Fürsorge für Eltern und Geschwister
Autor: Dr. med. Gesche Riabowol (nee Tallen), Redaktion: Maria Yiallouros, Freigabe: Prof. Dr. med. U. Creutzig, Zuletzt geändert: 24.02.2024 https://kinderkrebsinfo.de/doi/e172704
Die Krebserkrankung des Patienten und deren Verlauf beeinflusst in ganz eigener Weise die seelische und körperliche Verfassung nicht nur der Eltern, sondern auch der gesunden Geschwister. Dabei spielt es keine entscheidende Rolle, an welcher Krebserkrankung das Geschwister leidet, sondern vielmehr das Ausmaß und die Intensität der Gesamtsituation sowie deren Einfluss auf das Familienleben.
Geschwister können unter folgenden Belastungen leiden:
- eingeschränkte Zuwendung der Eltern: Dies kann Eifersucht auf das kranke Kind und, damit einhergehend, zwiespältige Gefühle / Schuldgefühle verursachen.
- hohe Anforderungen der Eltern in Bezug auf Mitarbeit im Haushalt, Versorgung des kranken Geschwisters, dadurch möglicherweise Rückzug von Freunden
- Kommunikationsstörungen innerhalb der Familie, zum Beispiel Probleme zwischen den Eltern
- Angst vor dem Sterben und dem Tod der Schwester oder des Bruders
- Schuld- beziehungsweise Allmachtsfantasien (altersabhängig), ursächlich an der Erkrankung beteiligt zu sein.
Die Geschwister reagieren nicht selten mit Problemen in der Schule, sozialem Rückzug, Schlaf- oder Essstörungen und Kopfschmerzen. Es ist für die gesamte Familie wichtig, sich bewusst zu machen, dass solche Belastungen auftreten können und sie nicht zu verdrängen.
Gesunde Geschwister machen jedoch auch positive Erfahrungen im Zusammenhang mit dieser schweren Lebenssituation.
Hierzu gehören beispielsweise:
- eine stärkere Wertschätzung des Lebens
- familiärer Zusammenhalt und in der Folge starkes Selbstbewusstsein
- eine beschleunigte Persönlichkeitsentwicklung
Psychosoziale Unterstützung für gesunde Geschwister
Die Notwendigkeit, Geschwister von Kindern mit lebenslimitierenden/ -bedrohlichen Erkrankungen zu unterstützen, um Folgeerkrankungen zu verhindern, ist offensichtlich. Eltern sind durch ihr krankes Kind und die damit verbundenen Anforderungen so stark belastet, dass für gesunde Geschwister oft keine ausreichenden Ressourcen mehr vorhanden sind. Hier haben vor allem auch andere Erwachsene, die in engerem Kontakt mit der Familie stehen, große Verantwortung, insbesondere die Mitglieder des Palliativteams.
Professionelle Hilfe besitzt das Potenzial, Geschwister eines krebskranken Kindes psychosozial zu unterstützen und die negativen Auswirkungen der Situation zu mildern, um so eventuellen körperlichen oder seelischen Erkrankungen vorbeugend zu begegnen. Mögliche Formen solcher Maßnahmen können beispielsweise Geschwistergruppen und psychosoziale Unterstützung sein.
Familienorientierte Versorgung
Im Jahr 1983 wurden in Frankfurt am Main und Berlin klinikgestützte ambulante Kinderkrankenpflegedienste gegründet, um insbesondere krebskranke Kinder und Jugendliche zu Hause zu versorgen. Dies war der Beginn der familienorientierten palliativen Kinderkrankenpflege in Deutschland.
Das Konzept der familienorientieren Versorgung legt auf folgende Aspekte großen Wert:
- das Beteiligtsein der Eltern
- die Partnerschaft mit Eltern
- die Familienpflege
- eine familienzentrierte Kinderkrankenpflege
Die Ziele der familienorientierten Versorgung sind, neben der Stärkung der Gesundheit des erkrankten Familienmitglieds, auch die Gesundheitsfürsorge für die weiteren Familienmitglieder und die Stärkung der Familiendynamik.
Familienorientierte Versorgung bindet Eltern stufenweise wie folgt ein:
- Stufe 1: Eltern sind für die normale Versorgung des Kindes und das Palliativteam für medizinisch-pflegerische Maßnahmen verantwortlich. Entscheidungen werden gemeinsam mit dem kranken Kind und seinen Eltern getroffen. Andere Familienmitglieder sind selten einbezogen. Die Hauptversorgung erfolgt durch das Palliativteam.
- Stufe 2: Eltern und Fachpersonal entscheiden gemeinsam, wer welche Aufgaben übernimm, und die Eltern werden in pflegerischen Aufgaben unterrichtet. Eltern trauen sich die Durchführung bestimmter pflegerischer Aktivitäten zu und die Zusammenarbeit zwischen Eltern und Palliativteam wird enger.
- Stufe 3: Die Intensität der Versorgung durch die Eltern erreicht die des Palliativteams. Das bedeutet, dass die Eltern nun in der Lage sind, die Versorgung ihres Kindes zu übernehmen. Andere Familienmitglieder oder Freunde sind ebenfalls an der Versorgung beteiligt, und der Versorgungsplan sowie auch die Verantwortlichkeiten werden fortlaufend im Team abgesprochen.
Auf diese Weise werden Eltern zu den Advokaten und Experten für ihr Kind. Allerdings kann es auch sein, dass Eltern aufgrund der eventuell jahrelangen Belastung durch die Versorgung des Kindes Entlastung benötigen. Dann besteht die Möglichkeit, die Versorgung des Kindes für eine gewisse Zeit einem ambulanten Pflegedienst oder einer Kurzzeitpflegeeinrichtung zu übergeben (siehe Kapitel „Zuständigkeiten“).