Psychosoziale Versorgung krebskranker Kinder, Jugendlicher und ihrer Familien heute

Autor:  Barbara Grießmeier, Iris Lein-Köhler, Redaktion:  Ingrid Grüneberg, Zuletzt geändert: 26.06.2023 https://kinderkrebsinfo.de/doi/e269713

Heute ist ein Psychosozialer Dienst an allen pädiatrisch-onkologischen Zentren im deutschsprachigen Raum selbstverständlicher Teil jedes Behandlungsteams. Psychosoziale Versorgung ist somit integraler Bestandteil der Behandlung. Die S3-Leitlinie sowie die Module der Basisversorgung definieren die Standards zu Struktur- und Rahmenbedingungen, Diagnostik, Indikationen, Interventionen und Evaluation. In einigen Kliniken beteiligen sich psychosoziale MitarbeiterInnen an Forschungsprojekten oder publizieren Inhalte und Ergebnisse ihrer eigenen Forschungstätigkeit.

Obwohl das Vorhandensein eines Psychosozialen Dienstes in den Kliniken ein wichtiges Qualitätsmerkmal ist, so ist doch die Finanzierung entsprechender Stellen nach wie vor ungeklärt und damit nicht gesichert. Innerhalb des Fallpauschalensystems zur Finanzierung der Krankenhäuser ist bisher keine Refinanzierung psychosozialer Tätigkeiten vorgesehen. So bleibt es nach wie vor den einzelnen Kliniken selbst überlassen, nach Finanzierungswegen für psychosoziale MitarbeiterInnen zu suchen: teilweise über Klinikstellen, teilweise über meist von Fördervereinen finanzierte Drittmittelstellen.

Die Psychosoziale Arbeitsgemeinschaft in der pädiatrischen Onkologie und Hämatologie (PSAPOH) als Fachgesellschaft ist mit etwa 220 Mitgliedern die größte Arbeitsgemeinschaft innerhalb der Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie (GPOH) und setzt sich neben der Vertretung ihrer Mitglieder vor allem für die Sicherung psychosozialer Versorgung aller betroffenen Kinder, Jugendlichen und ihrer Familien ein. Die MitarbeiterInnen der verschiedenen Berufsgruppen tauschen sich in der Fachgesellschaft intensiv aus und arbeiten eng zusammen.

Aufgaben der PSAPOH für die nächsten Jahre sind beispielsweise:

Die zunehmende Ökonomisierung des Gesundheitswesens bringt für die Kinderonkologie immer kürzere Verweildauern im stationären Bereich, teilweise deutlich längere Anfahrtswege für die Familien und weniger Zeit der ÄrztInnen für Gespräche mit den Eltern mit sich. Dies führt oft zu großer Verunsicherung, größeren Herausforderungen, Zweifeln an der Behandlung und dem Gefühl, alleingelassen zu sein. Ein kontinuierliches Beziehungsangebot durch psychosoziale MitarbeiterInnen kann Familien entlasten, die Kooperationsbereitschaft stärken und die Behandlung unterstützen.

Psychosoziale Versorgung krebskranker Kinder, Jugendlicher und ihrer Familien ist in den deutschsprachigen Ländern bisher nur während der intensiven Therapie-Phase (während Chemotherapie und/oder Bestrahlung) regelhafter Bestandteil der Behandlung. Die Unterstützung der Familien bei der Reintegration in die Normalität nach Ende der Intensivtherapie, beim Umgang mit bleibenden Einschränkungen/Behinderungen (etwa nach einem Hirntumor) oder bei der Auseinandersetzung mit Spätfolgen in der Nachsorge sind dagegen bisher nicht einheitlich geregelt.

Manche Kliniken haben hierfür eigene Nachsorgesprechstunden eingerichtet; andernorts müssen die psychosozialen MitarbeiterInnen der Akutversorgung die psychosoziale Nachsorge mit übernehmen oder Elternvereine sind Träger entsprechender Angebote und hat psychosoziale MitarbeiterInnen für diese Aufgaben angestellt. Insgesamt ist die psychosoziale Nachsorge bis heute allerdings weder strukturell, personell, noch finanziell gesichert.

In den letzten Jahrzenten haben sich sowohl familienorientierte Rehabilitationsmaßnahmen als auch die kleingruppenorientierte Rehabilitation für Jugendliche und junge Erwachsene als ein Erfolgsmodell zur Reintegration in den Alltag nach einer Krebsbehandlung etabliert. Überlegungen zur Kosteneinsparung im Bereich der Kinderrehabilitation könnten diese wichtige Säule der Behandlung mittelfristig gefährden.

Durch das kontinuierliche Engagement der PSAPOH, aber auch der GPOH und der Elternvereine, konnte sich die psychosoziale Versorgung in der Kinderonkologie zu einem integralen Bestandteil der Behandlung entwickeln. Die Notwendigkeit dieser Versorgung wird nicht angezweifelt; allerdings stellen vor allem ökonomische Bedenken vielerorts eine ausreichende Ausstattung der Psychosozialen Teams in den Kliniken in Frage. Damit würde zwangsläufig auch die Qualität der Versorgung leiden. Die PSAPOH sieht in der Sicherstellung des Erreichten und der weiteren Implementierung einer leitliniengerechten Versorgung an allen Standorten ihre wichtigste Aufgabe.

In den meisten Kliniken endet die medizinische Versorgung ehemals krebskranker Kinder/Jugendlicher mit dem Erreichen der Volljährigkeit beziehungsweise nach dem Abschluss der pädiatrisch-onkologischen Nachsorge. Mancherorts ist der Übergang (Transition) in die Erwachsenenmedizin durch spezielle Sprechstunden sowohl auf der medizinischen als auch auf der psychosozialen Ebene bereits gut geregelt.

In vielen Kliniken ist dies jedoch noch nicht der Fall: Nach oft vielen Jahren der (im Vergleich zur Erwachsenenmedizin) sehr intensiven Betreuung in den Kinderkliniken sind die PatientInnen mit diesem Übergang häufig überfordert und sehen sich nicht ohne weiteres in der Lage, neue AnsprechpartnerInnen für medizinische und/oder psychosoziale Fragestellungen in der „Erwachsenenmedizin“ zu finden. Der Bereich der Transition und der psychosozialen Nachsorgeangebote sollte in den nächsten Jahren geregelt und bedarfsgerecht ausgebaut werden.

Da ehemals krebskranke Kinder/Jugendliche meist nicht automatisch Zugriff auf ihre Behandlungsunterlagen haben, arbeiten Patientenorganisationen weltweit seit geraumer Zeit an einem sogenannten „Survivor-Passport” in elektronischer Form, in dem die wichtigsten Informationen zu Diagnose, Therapie und Spätfolgen abrufbar sind.

In den deutschsprachigen Ländern ist dieser „Pass” bisher nur wenig verbreitet. Um den selbständigen Umgang der jungen „Überlebenden” mit ihrer Krankengeschichte zu fördern, kommt der PSAPOH hier eine wichtige Aufgabe zu.

Bisher wurde im Rahmen der S3-Leitlinie vorrangig die psychosoziale Basisversorgung beschrieben, auf die alle krebskranken Kinder/Jugendlichen und ihre Familien Anspruch erheben können. Die Elemente einer intensivierten Versorgung bei höherer krankheitsbedingter und erkankungsunabhängiger Belastung (über höherfrequente Angebote hinaus) wurden bisher nur ansatzweise spezifiziert: Dies ist ebenfalls eine wichtige Aufgabe der PSAPOH für die kommenden Jahre.

Der Umgang mit Kindern/Jugendlichen aus Flüchtlingsfamilien, die beispielsweise eine onkologische oder hämatologische Erkrankung haben oder eine Nachsorge brauchen, stellt das Gesundheitssystem vor besondere Herausforderungen. Insbesondere Traumatisierte benötigen hier besonderen Schutz und Aufmerksamkeit: Die PSAPOH muss sich dieser PatientInnengruppe in besonderer Weise annehmen.

Vertreterinnen der PSAPOH sind Mitglieder in der European Society for Paediatric Oncology (SIOP Europe kurz SIOPE), um die Interessen der psychosozialen MitarbeiterInnen aus dem deutschsprachigen Raum auch auf europäischer Ebene einzubringen, gemeinsame Standards zu entwickeln und psychosoziale Versorgung und Forschung weiter zu verbessern.