Wie geht es Ihnen?

Autor:  Iris Lein-Köhler, Barbara Grießmeier, Zuletzt geändert: 18.07.2023 https://kinderkrebsinfo.de/doi/e241283

Der Weg durch die Behandlung ist ein Auf und Ab der Gefühle. Wenn es Ihrer Tochter/Ihrem Sohn schlecht geht, sind Sie angespannt, versuchen trotzdem ihr/ihm bestmöglich beizustehen und konzentrieren sich auf das, was Ihr Kind gerade braucht. Die meisten Eltern geraten dabei in eine Art „Funktionsmodus“, um handlungs- und entscheidungsfähig zu bleiben. Wenn sich Ihre Tochter/Ihr Sohn dann wieder besser fühlt, wundern Sie sich vielleicht darüber, dass es Ihnen dann schlechter geht als ihr/ihm: Erst wenn Sie ein wenig loslassen können, spüren Sie, wie sehr Sie sich angestrengt haben und die „Nachwehen“ anstrengender Tage klingen meist langsam ab.

Kleinere Kinder leben immer ganz im Augenblick: Wenn es ihnen schlecht geht, zeigen sie das auch – sobald sie sich besser fühlen, kehren sie zu ihren alltäglichen Interessen und Bedürfnissen zurück. Erwachsene hingegen machen sich VOR einem Ereignis (wenn es vorhersehbar ist wie beispielsweise eine anstehende Operation) viel mehr Gedanken und NACH einer schwierigen Situation (vor allem, wenn sie unvorhersehbar war, wie eine Fieberphase) spüren sie erst richtig, wie es ihnen dabei ergangen ist.

Wie fühlen Sie sich?

Eltern durchleben im Behandlungsverlauf immer wieder wechselnde intensive Gefühle - je nachdem wie gut ihr Kind zurechtkommt, ob die Behandlung gut anschlägt und wie viel Unterstützung sie bekommen. Auch wenn der Schock über die Diagnose abgeklungen ist, werden Sicherheit, Hoffnung und Vertrauen erneut erschüttert, sobald unvorhergesehene Probleme auftreten. Viele verschiedene Gefühle können auftauchen: Allerdings tritt das Hadern mit der Tatsache, dass Ihre Tochter/Ihr Sohn an Krebs erkrankt ist, in den Hintergrund, sobald die Behandlung läuft. Das Wissen darum, dass sie/er sich in einer lebensbedrohlichen Situation befindet, läuft als „Film im Hintergrund“ stets mit, der stärker ins Bewusstsein tritt, wenn etwas anders als geplant läuft oder eine neue Herausforderung zu bewältigen ist. Zeiten, in denen Sie sich zwischen Bangen und Hoffen bewegen, werden immer wieder kommen: Sie werden lernen, damit umzugehen.

Je nach aktueller Situation können Sie beispielsweise

  • sich traurig fühlen, wenn Sie an die Zukunft der eigenen Familie denken oder von ungünstigen Entwicklungen bei anderen Familien hören
  • sich hilflos und ohnmächtig fühlen, weil Sie so wenig Einfluss darauf haben, wie es Ihrem Kind gesundheitlich geht
  • ängstlich reagieren, weil ein neuer Behandlungsabschnitt bevorsteht und Sie nicht wissen, wie er genau verlaufen wird
  • sich schuldig fühlen, weil Sie nicht allen Familienmitgliedern gleichermaßen gerecht werden können oder weil Sie daheim Arbeit und Geschwisterversorgung nicht so hinbekommen, wie Sie sich das wünschen
  • ärgerlich werden, weil es Missverständnisse in der Kommunikation mit dem Behandlungsteam, innerhalb der Familie oder mit anderen Eltern gegeben hat
  • wütend werden, dass Befunde von Untersuchungen lange dauern oder dass Ihr Umfeld nicht das gewünschte Verständnis für Ihre Situation aufbringt
  • müde und erschöpft sein, weil ein Krankenhausaufenthalt kein Ende zu nehmen scheint oder Sie kaum zum Schlafen kommen
  • froh und erleichtert sein, weil ein Behandlungsabschnitt geschafft oder eine Befürchtung nicht eingetreten ist
  • dankbar sein, weil Ihre Tochter/Ihr Sohn einen guten Tag hatte oder Ihre Freunde verständnisvolle Worte gefunden haben
  • hoffnungsvoll sein, weil es gute Nachrichten gibt oder das Ende der Behandlung naht

All diese Gefühle sind normal und angemessen. Sprechen Sie immer wieder mit vertrauten Personen über Ihr Befinden. Vielleicht glauben Sie, dass Nichtbetroffene in Ihrem Umfeld wenig Verständnis haben oder Sie andere Menschen zu stark belasten könnten, sodass Sie unsicher sind, an wen Sie sich wenden können. Die MitarbeiterInnen des Psychosozialen Teams sind gut informierte neutrale Personen und darin geübt, Ihnen zuzuhören und Belastungen mitzutragen, ohne davon selbst überwältigt zu werden. Diese werden Sie wiederholt danach fragen, wie es Ihnen geht - das ist keine leere Floskel: Das Psychosoziale Team steht Ihnen zur Verfügung und will immer wieder neu mit Ihnen gemeinsam herausfinden, was Sie brauchen, um die aktuelle Situation durchzustehen und die nächsten Schritte mit Ihrer Tochter/Ihrem Sohn gehen zu können.

Wie fühlen Sie mit anderen Menschen mit?

Das eigene Kind leiden (oder gar sterben) zu sehen, ist eine schwere Last für Eltern und sie möchten ihm das Leid oft am liebsten abnehmen. Mitleiden hilft hier aber nicht weiter: Wenn Sie Ihrem Kind Halt und Stütze sein wollen, sollten Sie sich nicht zu sehr in Ihren eigenen Schmerz fallen lassen oder sich im Mitleid verlieren. Ihr Kind braucht Ihr Mitgefühl, Ihr Verständnis, Ihre Fürsorge und Ihr Vertrauen: Es will nicht bemitleidet werden und verlässt sich darauf, dass Sie als Mutter oder Vater mit Ihrem eigenen Schmerz fertig werden.

Ähnliches gilt auch für die Beziehungen zu anderen Eltern, die Sie in der Klinik kennenlernen. „Geteiltes Leid ist halbes Leid.“: Dieser Satz trifft nur zu, wenn Mitgefühl stärker ist als das Mitleiden. Insbesondere, wenn Sie sich von Gefühlen anderer leicht anstecken lassen und schlechte Nachrichten bei anderen Familien Sie stark belasten, wählen Sie (wie sonst im Leben auch) gründlich aus, wem Sie Ihr Herz öffnen und wer bei Ihnen „ihr/sein Herz ausschütten“ darf. Gespräche mit dem Psychosozialen Team stehen allen Eltern offen und es ist nicht Ihre Aufgabe, andere Eltern aufzubauen, wenn Sie gerade mit sich selbst und der Situation Ihres Kindes an den Grenzen Ihrer Belastbarkeit stehen.

Ungünstige Verläufe bei anderen Kindern, von denen Sie in der Klinik nahezu zwangsläufig etwas mitbekommen, können Ihre gute Hoffnung bezüglich der Erkrankung Ihres Kindes immer wieder erschüttern. Sie werden Anteil nehmen wollen an Freud und Leid von Familien, die Ihnen vertraut geworden sind. Prüfen Sie trotzdem immer wieder, wie viel Energie Sie in der aktuellen eigenen Situation darauf verwenden wollen und können. Es ist völlig in Ordnung, sich vom Leid anderer fernzuhalten. Manche Eltern fühlen sich schuldig, wenn Sie sich von schlimmen Ereignissen bei anderen distanzieren und/oder es dem eigenen Kind gerade gut geht. Geben Sie sich auch in diesen traurigen Momenten die Erlaubnis, sich an den Fortschritten Ihrer Tochter/Ihres Sohnes zu freuen und sprechen Sie mit den MitarbeiterInnen des Psychosozialen Teams, wenn Sie sich in solchen Situationen belastet fühlen.

Was hilft, um gut zurechtzukommen?

Im Folgenden finden Sie Vorschläge dazu, was Ihnen als Eltern helfen kann, die Behandlungszeit Ihres Kindes gut zu bestehen:

In der Behandlungszeit werden Ihnen Ärzte/Ärztinnen und Pflegefachkräfte öfter mitteilen, was Sie tun sollten, um die Behandlung Ihres Kindes möglichst gut zu unterstützen. Es kann sein, dass Sie sich gezwungen sehen, Verantwortung für das Wohlbefinden Ihres Kindes an andere abzugeben und manchmal fühlen Sie sich dabei in Ihrer Rolle als Mutter oder Vater vielleicht nicht ernst genug genommen.

Suchen Sie immer wieder das Gespräch mit dem Behandlungsteam, damit Sie sich gegenseitig gut kennenlernen und Vertrauen wachsen kann. Wenn Sie sich besser mit der Behandlung auskennen und den MitarbeiterInnen des Behandlungsteams vertrauen können, merken Sie, dass alle vor allem das Wohl und die Genesung Ihres Kindes im Blick haben.

Ihre Tochter/Ihren Sohn liebevoll dabei zu unterstützen, etwas zu tun, was ihr/ihm schwerfällt, kann eine Herausforderung sein. Manchmal glauben Sie, fürsorglich und liebevoll zu sein – Ihr Kind erlebt das aber anders. Ob und wie sich Ihr Kind geliebt fühlt, entscheidet sich an der Art und Weise, wie Sie ihr/ihm beistehen: Es kommt also darauf an, Ihre liebevollen Gefühle in Handlungen (Worte und Taten) zu verwandeln, die Ihr Kind als liebevoll erlebt. Fürsorglichkeit, Rücksichtnahme und Unterstützung sollten möglichst genau auf die Bedürfnisse Ihrer Tochter/Ihres Sohnes abgestimmt sein, damit sie/er sich nicht eingeengt oder bevormundet, sondern in ihren/seinen Bewältigungsmöglichkeiten gestärkt fühlt.

Eltern, die Ihre Liebe dadurch zeigen, dass sie alle Wünsche ihrer Kinder sofort erfüllen und sich selbst vernachlässigen, bringen ihr Kind in die Lage eines hilflosen, unselbständigen Wesens, das sich selbst wenig zutraut. Wenn Mütter oder Väter ganz in der Fürsorgerolle aufgehen, sich zur „Rund-um-die-Uhr-Krankenschwester“ entwickeln und das die vorrangige Form ist, elterliche Liebe zu zeigen, erleben sich Kinder/Jugendliche schnell als „PatientInnen ihrer Eltern“. Für sie ist es dann besonders schwer, nach Ende der Behandlung aus der Krankenrolle wieder herauszufinden.

Ihre Tochter/Ihr Sohn ist nicht NUR krank, sondern eine ganz eigene Person, die sich entwickeln will und viele Eigenschaften und Talente hat, mit denen sie/er weiterhin gesehen werden will.

Für das eigene Kind „stark“ zu sein, kann man nicht beschließen: Damit das gelingen kann, braucht es vor allem auch die Sorge für eigene Bedürfnisse und das Wissen um eigene Grenzen. Um beständig und verlässlich da sein zu können, ist es unumgänglich, auch nach sich selbst zu schauen: Was brauchen Sie, um diese enorme Herausforderung stemmen zu können? Das eigene innere Gleichgewicht muss immer wieder gesucht und gefunden werden, um Überlastung und Erschöpfung zu verhindern. Dazu ist es notwendig, die eigenen Möglichkeiten und Grenzen gut zu kennen, alle hilfreichen bisherigen Lebenserfahrungen in die Waagschale zu werfen und für die Behandlungszeit zu nutzen.

Kinder lernen den Umgang mit schwierigen Situationen und verwirrenden intensiven Gefühlen hauptsächlich in ihrer Familie: Sie beobachten ihre Eltern sehr genau dabei, wie diese Herausforderungen angehen. Seien Sie Ihrer Tochter/Ihrem Sohn also Vorbild und zeigen Sie ihr/ihm, wie Sie das genau machen (beispielsweise indem Sie eine Auszeit nehmen oder einen Termin für ein psychologisches Gespräch vereinbaren). Vielleicht passen Ihre Bewältigungsstrategien nicht für Ihr Kind, aber wenn es sieht, dass es möglich ist, den neuen Alltag zu gestalten und mit schwierigen Situationen zurechtzukommen, kann es sich so ermutigt fühlen, nach eigenen Wegen zu suchen.

Es ist eine große Beruhigung für Kinder und Jugendliche, wenn sie erleben, dass ihre Eltern für sich selbst sorgen und sie (oder ihre Erkrankung) somit nicht dafür verantwortlich sind, wie es ihren nächsten Bezugspersonen geht.