Gentherapie

Autor:  Dr. W. Eberl, Redaktion:  Ingrid Grüneberg, Freigabe:  Prof. Dr. med. U. Creutzig, Zuletzt geändert: 19.06.2024 https://kinderblutkrankheiten.de/doi/e276670

Seit 2023 ist für die Behandlung der Hämophilie A und der Hämophilie B eine Gentherapie zugelassen. Hiermit ist der Wunsch verbunden, dass die Hämophilie durch die Behandlung des genetischen Defekts heilbar werden könne. Zwar sind erhebliche Fortschritte erreicht worden, allerdings ist derzeit eine komplette Heilung durch die Gentherapie noch nicht möglich. Zudem ist die Behandlung aktuell nur für Erwachsene (nach dem vollendeten 18. Lebensjahr) zugelassen. Im Moment laufen Studien, die eine Zulassung ab dem 12. Geburtstag anstreben.

Prinzip der Gentherapie

Der Gerinnungsfaktor VIII (Hämophilie A) wird in Zellen der Leber produziert, vor allen Dingen in den Gefäßwänden in der Leber, aber auch durch die Leberzelle selbst. Der Gerinnungsfaktor IX (Hämophilie B) wird von der Leberzelle selbst produziert. In diesen Zellen ist auf dem X-Chromosom das Gen für den jeweiligen Gerinnungsfaktor defekt. Um diesen Fehler auszugleichen, ist es notwendig, ein intaktes Gen in die Leberzelle einzuschleusen.

Hierzu bedient man sich eines Virus als Transportvehikel. Dieses Virus heißt Adeno-assoziiertes-Virus (AAV). Es hat die besondere Eigenschaft, dass es selbst keine Infektion auslöst, weil es eine Art Parasit ist, der sich an das Adenovirus bindet. Diesen Viren wird die intakte Information für die Gerinnungsfaktoren eingebaut. Wenn die Viren als Infusion verabreicht werden, schleusen sie dieses Gen in die Leberzelle ein.

Dort wird es nicht in das körpereigene Erbgut eingebaut, sondern bleibt in der Zelle als eine Art Gen-Kringel isoliert von der körpereigenen DNA liegen. Es wird jedoch von den Zellorganellen der Leberzelle genauso wie die körpereigene Information abgelesen, sodass die Zelle in die Lage versetzt wird, den Gerinnungsfaktor zu produzieren.

Derzeitige Therapieeffekte

Die Gentherapie wurde zunächst an Hunden mit Hämophilie erprobt. In diesen vorklinischen Studien sind in einem Zeitraum von ca. 20 Jahren relativ gute und stabile Faktorenspiegel nach der Gentherapie erreicht worden.

Neuere Studien am Menschen mit mittlerweile mehr als 100 Patienten laufen bisher seit 4 - 5 Jahren. Nicht bei allen Patienten, bei denen die Gentherapie angewendet wurde, war letztere erfolgreich.

Bei der Hämophilie A kommt es anfangs häufig zu einem sehr guten Anstieg der Faktor VIII-Aktivität, die jedoch im Laufe der ersten Jahre wieder absinkt. Dennoch scheint ein gewisses Plateau, also ein stabilerer Zustand mit höherer Faktor VIII-Aktivität, erreicht zu werden. Zumindest bei Patienten mit einer schweren Hämophilie bewirkt dieses über einen längeren Zeitraum eine leichtere Form der Hämophilie. Hier ist keine regelmäßige Gabe von Gerinnungsfaktoren mehr erforderlich.

Bei der Hämophilie B deuten die ersten Ergebnisse darauf hin, dass die Faktorspiegel etwas höher sind und auch langanhaltender beobachtet werden können. All diese Ergebnisse sind jedoch wegen der derzeitigen Dauer der Beobachtung noch vorläufig.

Nebenwirkungen und unerwünschte Effekte

Grundsätzlich werden durch die Gentherapie bei der Hämophilie die Erbinformationen der Patienten nicht verändert. Das intakte Gen mit der korrekten Erbinformation wird zusätzlich eingefügt und verbleibt in der Zelle. Noch ist unklar, ob die Menge des verabreichten Gens im Laufe der Jahre abnimmt oder ob es bei der Zellteilung der Leberzellen auch zu einer Teilung der eingefügten Informationen kommt.

Manche Patienten reagieren auf die Infusion, vermutlich auf die adenoassoziierten Viren, mit einer Erhöhung der Leberwerte. Dies entspricht nach den ersten Erfahrungen nicht einer Hepatitis. Es hat sich jedoch gezeigt, dass sich bei erhöhten Leberwerten der Effekt der Gentherapie verschlechtert, daher werden die Patienten mit erhöhten und ansteigenden Leberwerten über einen gewissen Zeitraum mit Cortison behandelt. Sonstige bedrohliche Nebenwirkungen sind bisher nicht beobachtet worden.

Wer kommt für diese Therapie infrage?

Bei der Hämophilie A muss sichergestellt sein, dass die Patienten vorher nicht mit dem adenoassoziierten Virus in Kontakt gekommen sind. Mit steigendem Lebensalter steigt allerdings die Wahrscheinlichkeit, dass bereits ein solcher Kontakt erfolgt ist. Die Behandlung kann in diesem Fall nicht durchgeführt werden.

Bei der Hämophilie B ist der Viruskontakt kein 100-prozentiger Ausschlussgrund, es kommt auf die Höhe der Antikörper-Titer an. Das heißt, dass eine Untersuchung im Hinblick auf den Antikörper unbedingte Voraussetzung für eine Behandlung ist. Außerdem müssen die Patienten eine hundertprozentige normale Leberfunktion haben, das heißt jede Lebererkrankung in der Vorgeschichte ist ein Ausschlussgrund. Des Weiteren muss sichergestellt sein, dass zumindest im ersten Jahr nach der Behandlung keinerlei lebertoxische Substanzen (Medikamente, Alkohol oder sonstige Drogen) eingenommen werden.

Wie läuft die Therapie praktisch ab?

Die Behandlung wird nur in großen Hämophilie-Zentren angeboten, die extra hierfür zertifiziert und zugelassen sind. Der Ablauf der Behandlung sieht folgendermaßen aus: Die Fachärzte führen die Voruntersuchungen durch, klären die Patienten auf und verabreichen die Infusion, die speziell für jeden Patienten zubereitet wird.

Die Weiterbetreuung der Patienten kann in den zuvor betreuenden Kliniken erfolgen, wenn diese für eine solche Behandlung zertifiziert wurden. Die Durchführung der Gentherapie hingegen bleibt stets den dafür vorgesehenen großen Behandlungseinrichtungen vorbehalten.