Neue Non-Faktor-Therapie der Hämophilie A (Prophylaxe) / Beispiel Emicizumab (Hemlibra®)

Autor:  Dr. med. W. Eberl, Redaktion:  Ingrid Grüneberg, Zuletzt geändert: 14.02.2022 https://kinderblutkrankheiten.de/doi/e233893

Mit Emicizumab wurde ein komplett neues Arzneimittel entwickelt, das sich nicht nur durch die subkutane Verabreichung von den klassischen Gerinnungsfaktoren unterscheidet, sondern anders als die übliche Faktor-Ersatztherapie wirkt. Emicizumab ist seit 2018 auf dem deutschen Arzneimittelmarkt erhältlich.

Emicizumab ist kein Gerinnungsfaktor, sondern ein gentechnologisch hergestellter, humanisierter bispezifischer Antikörper. Es handelt sich nicht um einen Faktor VIII-Hemmkörper, wie man fälschlicherweise annehmen könnte. Der Begriff Antikörper bezieht sich darauf, dass das Molekül Emicizumab ähnlich wie ein Schlüssel in ein Schlüsselloch passt und das Signal zur Türöffnung gibt. Emicizumab gibt nach Anbindung an die Gerinnungsfaktoren IXa und X wie der natürliche Faktor VIII (FVIII) das Signal zur Thrombinbildung und übernimmt somit die Funktion von FVIII in der Gerinnung. Thrombin ist zur Blutstillung erforderlich.

Bei Emicizumab handelt es sich nicht um einen Faktor VIII. Deshalb kann das Medikament insbesondere bei Patienten, die gegen das zugeführte FVIII-Konzentrat einen Antikörper entwickelt haben (25 - 30 % der Patienten), zur Vorbeugung von Blutungen (Blutungsprophylaxe) eingesetzt werden. Für diese Indikation ist das Präparat seit Februar 2018 in Deutschland zugelassen, jetzt auch für die Anwendung bei Hämophilen ohne Hemmkörper.
Während bisher bekannte Gerinnungsfaktoren in eine Vene gespritzt werden, wird Emicizumab unter die Haut (subkutan) ähnlich einer Heparin- oder Insulinspritze gegeben, und zwar alle 1 - 4 Wochen.

Üblicherweise erhalten Hämophilie A-Patienten, die einen Hemmkörper (Inhibitor) gegen Faktor VIII entwickeln, zur Vorbeugung oder Behandlung von Blutungen die folgenden Medikamente: Feiba® (aPCC, aktiviertes Prothrombinkomplex-Konzentrat) oder NovoSe-ven® (rFVIIa, rekombinanter Faktor VIIa) als sogenannte Bypassing agents (BPA). Stattdessen können diese Patienten nun mit Emicizumab (Hemlibra®) behandelt werden. Auf Grund der relativ kurzen Halbwertszeit von NovoSeven® und Feiba® müssen diese Präparate bei Blutungen mehrmals täglich und Feiba® zur Prophylaxe täglich oder zumindest mehrmals wöchentlich intravenös verabreicht werden. Emicizumab wird nicht bei Blutungen angewendet, sondern nur zur Vorbeugung von Blutungen gespritzt.

Wegen möglicher Nebenwirkungen (Thrombosen, thrombotische Mikroangiopathie) darf Feiba bei Emicizumab Patienten nicht zusätzlich angewendet werden.
Während in der Studie keine Antikörper (sog. Anti-Drug-Antibodies, ADAs) gegen Emicizumab auftraten, wurden diese nach Markteinführung weltweit vereinzelt beobachtet. Ein ADA gegen Emicizumab führt dazu, dass das Medikament Hemlibra® unwirksam wird.
Zur Wirksamkeit von Emicizumab bei anderen Gerinnungsstörungen kann momentan keine Aussage getroffen werden. Es laufen aber zurzeit im Labor Untersuchungen zur Wirksamkeit von Emicizumab bei Patienten mit von Willebrand Syndrom und erworbener Hemmkörper-Hämophilie.

Wichtig zu wissen: Da die Substanz Emicizumab die Gerinnselbildung beeinflusst, sind viele Gerinnungsteste, die die Zeit bis zur Gerinnselbildung messen, nicht mehr verwertbar. Das betrifft unter anderem die PTT, die klassische Faktor VIII-Bestimmung im Einstufentest, die Hemmkörper-Messung und einige andere Teste. Der Emicizumab-Spiegel im Blut kann mit einem käuflich erwerblichen speziellen Einstufentest (gegen Emicizumab kalibriert) gemessen werden. Patienten, die mit diesem Medikament behandelt werden, sollten auf jeden Fall einen speziellen Ausweis erhalten und die Therapie muss engmaschig vom Hämophiliearzt überwacht werden.