Wie werden infantile Hämangiome behandelt?
Autor: Prof. Dr. med. Jochen Rößler, Dr. med. Tobias Däbritz, Zuletzt geändert: 11.11.2024 https://kinderblutkrankheiten.de/doi/e278276
Die Behandlung eines infantilen Hämangioms sollte primär durch einen erfahrenen Kinderarzt erfolgen. Ob bei einem Säugling mit einem infantilen Hämangiom eine Behandlung angezeigt ist oder nicht, muss individuell entschieden werden.
Bei unkomplizierten infantilen Hämangiomen in unproblematischer Lokalisation und ohne funktionelle Einschränkungen (Rumpf, Arme, Beine) ist keine Therapie erforderlich.
Hingegen ist eine frühzeitige Behandlung bei schnell wachsenden infantilen Hämangiomen in Problemzonen angezeigt, um Komplikationen zu vermeiden. Davon betroffen sind vor allem Säuglinge mit infantilen Hämangiomen im Augenbereich (wegen drohender Sehbehinderung), im Lippenbereich (wegen nur geringer oder langsamer spontaner Rückbildung) und in der Ohr- und Nasenregion (zur Vorbeugung von Ohr- oder Nasenfehlbildungen).
Bei manchen Kindern kann aufgrund der Krankengeschichte und der klinischen und gegebenenfalls bildgebenden Befunde auch ohne einen Beobachtungs- beziehungsweise Kontrollzeitraum eine sofortige Behandlung notwendig sein. In diesen Situationen ist ein frühzeitiger Therapiebeginn in der Wachstumsphase angezeigt.
Die Hauptziele der Behandlung sind:
- funktionelle und kosmetische Probleme zu vermeiden beziehungsweise zu beseitigen,
- Nekrosen (Geschwürbildungen) zu behandeln,
- das Wachstum der Hämangiome zum Stillstand zu bringen,
- die Rückbildung großer infantiler Hämangiome zu beschleunigen.
Kinderärzte könnten sich bei der Beurteilung eines infantilen Hämangioms die Frage stellen, ob und wann sich der Säugling in einer spezialisierten Ambulanz vorstellen sollte. Eine Antwort hierauf bietet der sogenannte Infantile Hemangioma Referral Score (IHReS).
Der IHReS beschreibt für infantile Hämangiome beispielsweise bestimmte Körperstellen (Lokalisationen) und Größenverhältnisse, ab denen Überweisungen in eine Spezialambulanz erforderlich sind:
In Abhängigkeit der Lokalisation (Gesicht, Nacken, Kopfhaut, Windelbereich), Größe (über 1 cm an den vorab beschriebenen Lokalisationen oder 2 - 4 cm an anderen Stellen) und dem Alter des Kindes (unter 2 Monate oder 2 - 4 Monate mit nachweisbarem Wachstum innerhalb der letzten 2 Wochen) erfolgt die Vorstellung in einer Spezialambulanz. Dort erfolgt die Beurteilung zusammen mit der Familie hinsichtlich einer Therapienotwendigkeit.
Auch Kinder mit bereits eingetretenen Komplikationen sollten zur Therapieentscheidung in einem Spezialzentrum vorgestellt werden. Ein möglichst frühzeitiger Therapiebeginn ist entscheidend für den weiteren Verlauf. Bei Kindern, deren infantiles Hämangiom sich in der Stillstands- oder Rückbildungsphase befindet, ist in der Regel eine abwartende Haltung und meist keine Therapie zu empfehlen. Wenn jedoch Komplikationen durch Geschwüre zu befürchten sind, ist auch in diesen Phasen eine Behandlung angezeigt.
Behandlungsmöglichkeiten:
- medikamentöse Behandlung mit Betablockern (Propanolol)
- Lokaltherapie mit Timololgel
- Farbstofflasertherapie und Tiefenlasertherapie (Nd:YAG-Laser)
- Kryotherapie
- Operation
Betablocker (Propranolol u.a.)
Der Goldstandard ist eine medikamentöse Therapie mit dem Beta-Blocker Propranolol. Über die Hemmung der Gefäßneubildung mit Einleiten eines Abbaus von Gefäßzellen können Beta-Blocker eine Rückbildung des infantilen Hämangioms zu bewirken. Es zeigt bei den meisten Säuglingen bereits eine Wirkung innerhalb von wenigen Tagen nach der ersten Gabe. Die Durchblutung des Hämangioms nimmt ab und es wird weicher. Insgesamt sprechen 98 % der mit Propranolol behandelten infantilen Hämangiome auf die Therapie an. Das Medikament wird meist als Saft (Suspension) verabreicht.
Nebenwirkungen werden bei etwa 30 % der Kinder beobachtet. Sie sind jedoch vorübergehend und meist harmlos (zum Beispiel nächtliche Unruhe oder Durchfall). Bei circa 17 % der Patienten kommt es nach Beendigung einer sechsmonatigen Therapie zu einem erneuten Wachstum des Tumors. In Ausnahmefällen (vollkommenes Verschwinden des Hämangioms in den ersten Lebensmonaten während der Therapie) ist ein Behandlungsabbruch zu diesem Zeitpunkt möglich. Ansonsten sollte die Therapie bis zum ersten Geburtstag erfolgen.
Nicht alle Kinder (zum Beispiel manche ehemalige Frühgeborene oder Säuglinge mit angeborenen Herzfehlern) können mit Propranolol behandelt werden, so dass bei ihnen auf andere Behandlungsmöglichkeiten ausgewichen wird.
Für kleine oberflächliche infantile Hämangiome ist die lokale Anwendung von Timololgel sicher und gut geeignet. Ob andere Beta-Blocker bedeutsame Vorteile gegenüber Propranolol haben, kann aktuell nicht sicher beurteilt werden. Beachtet werden sollte auf jeden Fall die Aufklärung der Eltern zum Off-Label-Use (Gebrauch außerhalb der Arzneimittelzulassung) dieser Medikamente.
Eine Kortikosteroid-Therapie ist für lebensbedrohliche infantile Hämangiome mit Atemwegseinengung oder bei komplizierten Leberhämangiomen zu erwägen, sollte aber darüber hinaus nicht mehr zum Einsatz kommen.
Lasertherapie
Aufgrund der hervorragenden Wirksamkeit der oralen Betablocker-Therapie (mit Propranolol, siehe oben) bei überschaubaren und beherrschbaren Nebenwirkungen ist die Bedeutung der Lasertherapie in den Hintergrund getreten. Der Einsatz des Blitzlampen-gepumpten gepulsten Farbstofflasers (FPDL) oder gepulster Blitzlampen (IPL) ist für die Behandlung von restlichen Läsionen nach Abschluss der Rückbildung ab dem 4. Lebensjahr möglich.
Eine Tiefenlasertherapie (Nd:YAG-Laser-Therapie) in Narkose ist in Abwägung des allgemeinen Narkoserisikos möglich. Die Tiefenlasertherapie erfolgt aufgrund der größeren Eindringtiefe im Vergleich zur Farbstofflasertherapie für tiefe infantile Hämangiome bei fehlendem Ansprechen auf eine Propranolol-Therapie. Alternativ steht die Kryotherapie zur Verfügung (siehe unten).
Kryotherapie
Die Kryotherapie (gezielter Einsatz von Kälte) ist in Deutschland für die Behandlung von kleinen, flachen infantilen Hämangiomen mit einer Fläche bis zu maximal 1 cm Durchmesser und einer Tiefenausdehnung von max. 3 - 4 mm etabliert. Blasen- und Krustenbildung sind möglich.
Operation
Die Operation ist bis auf wenige Ausnahmen keine bevorzugte Behandlungsform. Sie kommt wegen der hohen spontanen Rückbildungsrate und der Erfolge anderer Therapieverfahren nur bei wenigen Patienten zum Einsatz. Sie kann vor allem zur kosmetischen Verbesserung angezeigt sein oder auch, wenn Komplikationen drohen, die durch die anderen Verfahren nicht zu beherrschen sind. Dies kann zum Beispiel bei akut drohendem Funktionsverlust, beispielsweise am Auge, der Fall sein.
Die Operation sollte nur durchgeführt werden, wenn später keine ästhetischen oder funktionellen Einschränkungen erwartet werden. Am behaarten Kopf ist eine Operation sinnvoll, wenn nach Abschluss der Rückbildungsphase kahle Stellen zu verbleiben drohen oder es zu starkem Gewebsüberschuss kommen könnte.
Bei infantilen Hämangiomen im Nasen- und Lippenbereich ist nach dem Rückbildungsstadium die operative (Teil-) Entfernung oder die Laser-Behandlung von Restbefunden (Residuen) möglich. Die Behandlung von Restbefunden sollte nach dem 4. bis 5. Lebensjahr des Patienten durchgeführt werden, das heißt, wenn keine Veränderungen des Hämangioms mehr zu erwarten sind.
Unterstützende Maßnahmen
Infantile Hämangiome mit Geschwürbildung (Ulzeration) zeigen ein sehr gutes Ansprechen auf die Propranolol-Therapie (siehe oben). Als effektiv hat sich zusätzlich folgendes Pflegekonzept erwiesen:
Ein geschwürartiges (ulzeriertes) Hämangiom in der Anus- oder Geschlechtsregion sollte nach jedem Wasserlassen beziehungsweise jedem Stuhlgang an der entsprechenden Stelle mit dem Desinfektionsmittel Octenidindihydrochlorid abgespült werden und danach an der Luft trocknen. Auf die wunde Stelle (Läsion) sollte Polyhexanid, ein Antiseptikum, aufgetragen und mit sterilem Paraffingazeverband abgedeckt werden. Zunächst kann auch mit Schwarzteeumschlägen eine Austrocknung der Läsion angestrebt werden.