Welche Behandlungsmethoden sind erforderlich?
Autor: Maria Yiallouros, Zuletzt geändert: 17.06.2023 https://kinderkrebsinfo.de/doi/e96719
Zur Behandlung eines Patienten mit Retinoblastom stehen als Therapieformen die Operation, die Chemotherapie (systemisch oder lokal), die Bestrahlung (Brachytherapie oder perkutane Strahlentherapie), die Lasertherapie, die Kryotherapie und die Thermotherapie zur Verfügung. Im Falle einer fortgeschrittenen Erkrankung kann in manchen Situationen auch eine Hochdosis-Chemotherapie mit anschließender autologer Stammzelltransplantation in Frage kommen.
Welche Verfahren angewandt werden, hängt in erster Linie davon ab, ob ein oder beide Augen vom Tumor betroffen sind, wie weit die Erkrankung zum Zeitpunkt der Diagnose fortgeschritten ist (intraokulares oder extraokulares Retinoblastom sowie jeweiliges Stadium) und ob für ein oder beide Augen nach der Therapie noch Sehfähigkeit zu erwarten ist. Auch das Alter des Kindes wird bei der Behandlungsplanung berücksichtigt (siehe auch Kapitel "Stadieneinteilung und Klassifikation").
Ziel jeder Therapie ist die vollständige Zerstörung beziehungsweise Entfernung des Tumors und damit die Heilung der Krebserkrankung. Der Erhalt des Lebens steht dabei grundsätzlich über dem Erhalt des Sehvermögens.
Prinzipiell sind zwei Behandlungsstrategien möglich:
- eine Augapfel-erhaltende Therapie mittels Laser-, Kryo-, Thermo-, Strahlen- und/oder Chemotherapie
- die operative Entfernung des Tumors durch Entfernen des Auges (Enukleation) und gegebenenfalls ergänzende (adjuvante) Therapieformen zur Festigung des Therapieerfolgs
Eine augenerhaltende Behandlung wird, wann immer möglich, bevorzugt. Sie hat das Ziel, den Tumor zu inaktivieren und gleichzeitig das Sehvermögen zu erhalten, ohne dass dabei ein Lebensrisiko eingegangen wird. Die Art der Therapie hängt von der Tumorgröße ab: Bei einzelnen, kleinen Retinoblastomen ist die Therapie der Wahl eine so genannte augenärztliche Lokaltherapie (fokale Therapie). Sind die Tumoren für eine solche Behandlung bereits zu groß, kann in einigen Fällen eine Chemotherapie mit dem Ziel der Tumorverkleinerung (Chemoreduktion) durchgeführt werden, um anschließend eine solche lokale Behandlung möglich zu machen.
Ist die Krankheit bereits fortgeschritten, ist die Entfernung des Auges, eine so genannte Enukleation, meist unumgänglich. Sind Tochtergeschwülste (Metastasen) vorhanden, werden zusätzlich zur Operation eine adjuvante Chemotherapie und/oder perkutane Strahlentherapie, in manchen Fällen auch eine Hochdosis-Chemotherapie und anschließend eine autologe Stammzelltransplantation durchgeführt.
Augenerhaltende Therapien (bei intraokularem Retinoblastom)
Zu den augenerhaltenden Therapien gehören einerseits die augenärztlichen Lokaltherapien (fokale Therapien), andererseits die Chemotherapie (systemisch und/oder lokal). Nur selten ist bei einem introkularen Retinoblastom eine Strahlentherapie von außen durch die Haut (perkutane Strahlentherapie) angezeigt.
Augenärztliche Lokaltherapien (fokale Therapien)
Mit Hilfe augenärztlicher Lokaltherapien können kleinere intraokulare Tumoren (ICRB-Stadien A und zum Teil B; Höhe bis zu etwa 5 mm) erfolgreich augenerhaltend behandelt werden. Als Therapiemöglichkeiten kommen die Lasertherapie (auch Laserkoagulation oder Fotokoagulation), die Kryotherapie (auch Kryokoagulation), die Thermotherapie und die Brachytherapie in Frage. Die Wahl der jeweils passenden Therapieform(en) hängt vor allem von der Größe und der Lage des Retinoblastoms ab:
- Die Lasertherapie wird vor allem bei kleinen Tumoren (unter 2 mm Höhe) eingesetzt; dabei wird in Vollnarkose ein Laserstrahl durch die Pupille auf den Tumor gelenkt. Durch die Hitze des Laserstrahls wird der Tumor zerstört.
- Bei der Kryotherapie werden besonders niedrige Temperaturen eingesetzt. Der Tumor wird dabei von außen mit Hilfe des Augenspiegels und einer Metallsonde ausfindig gemacht und mehrfach durchgefroren. Die kälteempfindlichen Tumorzellen werden dadurch zerstört. Diese Form der Therapie eignet sich für kleine Tumoren (bis zu circa 3-4 mm hoch), die sich im vorderen Abschnitt der Netzhaut (peripher) befinden. Auch eine fokale Glaskörperaussaat lässt sich damit therapieren.
- Bei der Thermotherapie (oder Thermochemotherapie) handelt es sich um eine Form der Lasertherapie, die mit einer systemisch verabreichten Chemotherapie kombiniert wird. Sie kommt vor allem bei Tumoren am hinteren Augenpol zum Einsatz.
- Mit Hilfe der Brachytherapie (Kurzdistanzbestrahlung) werden einzelne, mittelgroße Retinoblastome (etwa 4-5 mm Höhe) an gut zugänglichen Stellen bestrahlt. Dazu wird ein radioaktiver Strahlenträger (zum Beispiel ein Ruthenium-Applikator) durch einen operativen Eingriff von außen auf die Sklera im Bereich des Tumors eingebracht und dort so lange (in der Regel einige Tage) belassen, bis die gewünschte Strahlendosis verabreicht ist. Die Strahlung wird dabei nur in Richtung des Tumors abgegeben. Dadurch kann eine hohe Strahlendosis direkt am Tumor erzielt werden, während das benachbarte Gewebe weitgehend geschont wird. Das strahlenempfindliche Retinoblastom wird dabei allmählich, das heißt über Wochen, Monate oder auch Jahre, in inaktives Narbengewebe umgewandelt.
Alle diese Therapieformen können sowohl allein als auch in Kombination mit anderen Therapien kombiniert werden. Bei Retinoblastomen, die sich zum Beispiel durch den Einsatz einer systemischen Chemotherapie zurückgebildet haben, können diese Verfahren zur Festigung des Therapieerfolgs in Frage kommen.
Chemotherapie
Die Chemotherapie ist eine Behandlung mit zellwachstumshemmenden Medikamenten, so genannten Zytostatika. Sie zielt darauf ab, Krebszellen in ihrem Wachstum zu stoppen oder zu vernichten.
Systemische Chemotherapie bei intraokularem Retinoblastom (Chemoreduktion)
Die systemische Chemotherapie – also eine Chemotherapie, die Tumorzellen überall im Körper (systemisch) bekämpfen kann – wird beim Retinoblastom oft in Ergänzung zu anderen Therapieverfahren eingesetzt, um deren Wirkung zu steigern oder um den Behandlungserfolg zu festigen. In der Regel kommen mehrere Zytostatika gleichzeitig zur Anwendung (Polychemotherapie). Die Medikamente werden über eine Vene (intravenös) verabreicht. Sie verteilen sich über die Blutbahn im gesamten Körper und erreichen so auch die Blutgefäße des Tumors, um hier wirksam zu werden.
Während die systemische Chemotherapie lange Zeit vor allem bei fortgeschrittener Erkrankung (also bei einer Tumorausdehnung über den Augapfel hinaus) oder auch im Anschluss an eine Enukleation eingesetzt wurde, spielt sie heute auch eine wichtige Rolle bei Retinoblastomen, die auf das Auge begrenzt sind (intraokulares Retinoblastom). Das Ziel der Chemotherapie im Rahmen einer augenerhaltenden Therapie ist, vorhandene Tumoren im Auge zu verkleinern (so genannte Chemoreduktion), so dass diese anschließend mittels augenärztlicher Lokalthera-piemethoden weiter kontrolliert werden können. Auf diese Weise soll bei möglichst vielen Patienten sowohl eine perkutane Strahlentherapie als auch eine Entfernung des Auges vermieden werden.
Lokale Chemotherapie
Um direkt im Auge hohe Chemotherapiekonzentrationen zu erreichen und gleichzeitig die Nebenwirkungen einer intravenösen, also den gesamten Körper betreffenden (systemischen) Chemotherapie zu vermeiden oder zu reduzieren, werden im Rahmen der augenerhaltenden Behandlung seit einiger Zeit lokale Chemotherapieverfahren eingesetzt: die intra-arterielle und die intravitreale Chemotherapie. Durch diese relativ neuen Therapiemöglichkeiten kann auch die Notwendigkeit einer perkutanen Strahlentherapie weiter verringert werden.
- Bei der intra-arteriellen Chemotherapie wird ein Zytostatikum (zum Beispiel Melphalan) ganz gezielt über eine Augenarterie in das Auge gegeben wird. Es wird dazu ein Katheter in die Leistenarterie eingeführt und am Herzen vorbei bis den Bereich der Augenarterie des betroffenen Auges vorgeschoben. Das verabreichte Medikament verteilt sich von dort aus im nachgeordneten Gefäßsystem und damit auch in den Tumorgefäßen des Retinoblastoms. Die intraarterielle Chemotherapiegabe ist als augenerhaltende Behandlung sehr effektiv. Sie kann sowohl im Rahmen der Erstbehandlung als auch im Anschluss an eine andere Therapie (Sekundärbehandlung) zum Einsatz kommen.
- Die intravitreale Chemotherapie (IViC) ist eine Therapieoption für Patienten, bei denen trotz systemischer oder intraarterieller Chemotherapie Retinoblastomzellen im Glaskörper verbleiben (residuelle Glaskörperaussaat). Durch die Gabe von Melphalan oder anderen Chemotherapeutika kann die Glaskörperaussaat meist erfolgreich kontrolliert und somit das betroffene Auge erhalten werden.
Operative Entfernung des Auges (Enukleation)
Nach wie vor wird die Enukleation für die Behandlung einer fortgeschrittenen intraokularen Erkrankung (ICRB-Stadium E, teilweise auch Stadium D) eingesetzt. Sie ist also dann angezeigt, wenn die Größe des Tumors keine lokale Therapie zulässt und keine Aussicht auf Sehfähigkeit des betroffenen Auges besteht. Dies ist häufig bei einseitigen (unilateralen) Retinoblastomen der Fall, die zum Zeitpunkt der Diagnose meist schon weiter fortgeschritten sind. Bei beidseitigen (bilateralen) Retinoblastomen sind die Tumoren meist unterschiedlich gewachsen, so dass die beiden Augen unterschiedliche Krankheitsstadien aufweisen. In diesen Fällen wird meist das stärker betroffene Auge operativ entfernt, sofern nicht beide Augen erhalten werden können.
Zur Tumorentfernung muss immer der gesamte Augapfel mit einem möglichst langen Teil des Sehnervs entfernt werden. Zeigt sich, dass der Tumor bestimmte Organgrenzen bereits überschritten hat (extraokulares Retinoblastom) beziehungsweise aufgrund verschiedener Risikofaktoren ein erhöhtes Metastasierungsrisiko vorliegt, kann eine Weiterbehandlung, eine so genannte adjuvante Therapie, erforderlich sein (siehe Kapitel „Therapie des extraokuklaren Retinoblastoms“ im Anschluss). Ansonsten ist die Therapie mit der Enukleation abgeschlossen.
Therapie bei extraokularem Retinoblastoms
Patienten, die nach der Enukleation bestimmte feingewebliche (histologische) Risikofaktoren (Infiltration der Aderhaut, der Sklera oder des Sehnervs) und somit eine Tumorausbreitung außerhalb des Auges aufweisen, muss eine zusätzliche (adjuvante) Behandlung erfolgen, um das Risiko einer weiteren Streuung des Tumors über die Blutbahn in andere Körperregionen und/oder über den Sehnerv ins Gehirn zu senken. Art und Intensität der Therapie hängen vom Krankheitsstadium (nach IRSS-Klassifikation) ab: Je weiter fortgeschritten die Erkrankung, umso intensiver und komplexer wird die Therapie sein. Als Therapieoptionen kommen in Frage: eine alleinige systemische Chemotherapie, eine kombinierte Chemo- und Strahlentherapie (letztere lokal auf die Augenhöhle begrenzt) sowie eine multimodale Therapie aus Chemotherapie, Hochdosis-Chemotherapie mit anschließender autologer Stammzelltransplantation und Strahlentherapie.