Spätfolgen am Herzen

Autor:  Christine Vetter, Maria Yiallouros, Redaktion:  Maria Yiallouros, Freigabe:  Prof. Dr. med. Thorsten Langer, Zuletzt geändert: 23.10.2024 https://kinderkrebsinfo.de/doi/e131735

Einleitung

Die Aufgabe des Herzens besteht vor allem darin, kontinuierlich Blut durch das Kreislaufsystems des Körpers zu pumpen. Auf diese Weise werden einerseits Organe und Gewebe mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt, andererseits Kohlendioxid und Stoffwechsel-Schlacken abtransportiert.

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Das Herz vollbringt dabei eine nahezu unvorstellbare Leistung: Im Durchschnitt schlägt es 60 bis 80 Mal pro Minute und befördert dabei vier bis sechs Liter Blut durch die Gefäße. Das sind rund 7.500 Liter pro Tag. Das ist nur möglich dank einer starken Muskulatur in den unterschiedlichen Herzbereichen (linker und rechter Vorhof sowie linke und rechte Hauptkammer), die sich in regelmäßigen Abständen zusammenzieht und erschlafft und dadurch das Blut aus den Herzkammern in die Lunge und in den Körper pumpt.

Mögliche Ursachen und Krankheitsbilder

Sowohl eine Chemotherapie mit bestimmten Medikamenten als auch eine Strahlentherapie im Brustbereich können das Herz schädigen. Wenn beide Therapieformen in Kombination eingesetzt werden, erhöht sich das Risiko einer Herzschädigung.

Chemotherapie

Bestimmte Medikamente, die bei der Chemotherapie verwendet werden, können die Herzmuskelzellen zerstören oder schädigen. In erster Linie sind hier die so genannten Anthrazykline zu nennen, eine Gruppe hochwirksamer Zytostatika, die in der Kinderkrebsheilkunde vor allem bei Leukämien, Lymphomen und Sarkomen erfolgreich eingesetzt werden.

Bei einem kleinen Teil der Patienten kommt es nach einer Behandlung mit Anthrazyklinen zu Erkrankungen des Herzmuskels, so genannten Kardiomyopathien, die im Laufe der Zeit zu einer nachlassenden Funktion des Herzens führen können.

Am häufigsten ist das Krankheitsbild der so genannten dilatativen Kardiomyopathie. Das ist eine Herzmuskelerkrankung, die mit einer Erweiterung der Herzkammern und somit einer Vergrößerung des Herzens einhergeht. Ein derart vergrößertes Herz kann sich nicht mehr wie ein gesundes Herz zusammenziehen, so dass die Pumpleistung des Herzens abnimmt und der Körper nicht mehr ausreichend mit Blut versorgt wird. Man spricht dann auch von einer Herzschwäche oder Herzinsuffizienz. Eine solche Herzinsuffizienz entwickelt sich meist nicht von heute auf morgen und zeigt sich in der Regel auch nicht unmittelbar nach der Therapie, sondern erst 10 bis 20 Jahre später.

Das Herz ist besonders empfindlich, solange es sich noch im Wachstum befindet. Aus diesem Grund sind junge Kindern besonders betroffen. Mädchen erkranken häufiger als Jungen. Eine Strahlentherapie kann die Wirkung der Anthrazykline verstärken.

Neben den Anthrazyklinen können auch einzelne andere Zytostatika Schäden am Herzen verursachen, vor allem wenn sie in hoher Dosierung verabreicht werden. Das gilt zum Beispiel für Cyclophosphamid, wenn es hoch dosiert im Rahmen einer Hochdosis-Chemotherapie vor Stammzelltransplantation verabreicht wird. Auch das Medikament Arsentrioxid kann Störungen hervorrufen (Herz-Rhythmus-Störungen). Es wird bei der akuten Promyelozytenleukämie eingesetzt, einer Unterform der akuten myeloischen Leukämie (AML).

Strahlentherapie

Eine Bestrahlung im Brustbereich ist – je nach Strahlendosis – ebenfalls mit einem Risiko für langfristige Spätfolgen verbunden. Denn sie kann zu Entzündungen des Herzbeutels, des Herzmuskels und der Blutgefäße des Herzens führen.

Die Herzgefäße (zum Beispiel die Halsschlagader oder Herzkranzgefäße) können aufgrund solcher entzündlichen Prozesse langfristig anfälliger für arteriosklerotische Veränderungen und folglich für Durchblutungsstörungen sein. Dadurch ist das spätere Herzinfarktrisiko leicht erhöht. Durch strahlenbedingte Entzündungen kann es außerdem zu Veränderungen („Vernarbungen“) der Herzklappen und zu Störungen der Erregungsleitung (Herzrhythmusstörungen) kommen [SCH2010].

Symptome einer Herzschädigung

Veränderungen des Herzmuskels und entsprechende Störungen der Herzfunktion zeigen sich oft erst nach einer gewissen Zeit und auch dann oft langsam und schleichend. Aus diesem Grund kann eine beginnende Herzmuskelerkrankung bei vielen Patienten zunächst unbemerkt bleiben.

Mit Fortschreiten der Erkrankung machen sich allerdings verschiedene Beschwerden bemerkbar. Charakteristische Symptome einer dilatativen Kardiomyopathie beispielsweise sind Müdigkeit, Atemnot (insbesondere nach Anstrengungen) und Wassereinlagerungen im Gewebe (Ödeme). Auch zu Herzrhythmusstörungen kann es kommen; das ist aber nur sehr selten der Fall.

Risikofaktoren auf einen Blick

Wie hoch das Risiko einer Herzschädigung als Folge der Krebstherapie ist, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Ein erhöhtes Risiko besteht zum Beispiel:

  • bei einer Behandlung mit bestimmten Zytostatika, insbesondere den Anthrazyklinen [Doxorubicin = Adriamycin, Daunorubicin, Epirubicin, Mitoxantron, Idarubicin und Amsacrin], aber auch bei Behandlung mit Cyclophosphamid und bei Arsentrioxid (eingesetzt bei der akuten Promyelozytenleukämie).
  • bei einer hohen Dosierung dieser Zytostatika
  • bei einer Strahlentherapie im Brustbereich, die das Herz miterfasst (vor allem bei Strahlendosen ab 25 Gray)
  • bei Patienten, die bei der Tumorbehandlung jünger als fünf Jahre alt sind
  • bei Vorliegen eines angeborenen Herzfehlers
  • bei Übergewicht
  • bei Rauchern

Ein Blick in die Forschung: Die Zusammenhänge zwischen Krebserkrankungen im Kindes- und Jugendalter und Spätfolgen für das Herz-Kreislauf-System werden im Rahmen verschiedener Forschungsprojekte weiter untersucht. Das Ziel dieser Studien ist es, die Kenntnisse über das Zusammenwirken der verschiedenen Risikofaktoren besser zu verstehen und dadurch zu einer Verbesserung der Nachsorgeempfehlungen und, soweit möglich, auch zur Entwicklung nebenwirkungsärmerer Therapien beizutragen. Eine neue Studie ist vor kurzem an der Uni Mainz angelaufen. Mehr dazu hier.

Bei welchen Krebskrankheiten kann es therapiebedingt zu Spätfolgen am Herzen kommen?

Patienten, die im Rahmen ihrer Krebsbehandlung eine Chemotherapie mit Anthrazyklinen, hoch dosiertem Cyclophosphamid, Arsentrioxid (selten) und/oder eine Strahlentherapie im Brustbereich erhalten, müssen auf lange Sicht unter Umständen mit einer Herzschädigung rechnen. Die genannten Therapien werden derzeit vor allem bei folgenden Krebserkrankungen angewandt:

Wichtig zu wissen: Jeder Patient wird individuell behandelt, das heißt, nicht in jedem der genannten Krankheitsfälle werden Anthrazykline, hoch dosiertes Cyclophosphamid und/oder Bestrahlung gegeben. Auch führt nicht jede Strahlentherapie und jede Anthrazyklin- beziehungsweise Cyclophosphamidbehandlung notgedrungen zu Spätfolgen. Die Höhe der Medikamenten- und Strahlendosis spielt dabei eine entscheidende Rolle. Auch die persönliche Konstitution und Veranlagung des Patienten kann von Bedeutung sein.

Fragen Sie Ihr Behandlungsteam, ob bei Ihnen beziehungsweise Ihrem Kind durch die Therapie ein erhöhtes Risiko für eine Herzerkrankung besteht.

Nachsorgeempfehlungen

Störungen der Herzfunktion zeigen sich manchmal schon während oder kurz nach Ende der Tumortherapie. Meist entwickeln sie sich jedoch erst eine gewisse Zeit nach Abschluss der Behandlung.

Da sich die Veränderungen oft langsam und schleichend ergeben, sind regelmäßige Untersuchungen des Herzens und seiner Funktion im Rahmen der Nachsorge wichtig. Die Experten raten, dass die Patienten nach Ende der Behandlung etwa zehn Jahre lang einmal jährlich eine Elektrokardiographie (EKG) und eine Echokardiographie, also eine Ultraschalluntersuchung des Herzens (oft auch Herzecho genannt), vornehmen lassen. Beide Untersuchungen sind nicht schmerzhaft, belasten den Organismus nicht und sind ihrerseits nicht mit gesundheitlichen Risiken verbunden.

Sind die Befunde der Untersuchungen über zehn Jahre unauffällig, so reicht in der Folgezeit eine Routineuntersuchung alle zwei Jahre. Zeigen sich jedoch Auffälligkeiten, so sollte je nach Schweregrad zum Beispiel der jährliche Rhythmus der Kontrolluntersuchungen beibehalten werden oder es sollten entsprechende Maßnahmen ergriffen werden.

Derzeit gibt es verschiedene Bestrebungen, eine Herzmuskelerkrankung bei ehemaligen Krebspatienten möglichst frühzeitig zu erkennen. Zu diesem Zweck werden, neben den erwähnten Standard-Diagnoseverfahren, teilweise weitere Untersuchungsmethoden angewendet. Dazu gehören beispielsweise Gewebedoppler-Untersuchungen des Herzmuskels. Es handelt sich dabei um eine neue und sensitive Ultraschalltechnik, die eine sehr genaue und direkte Untersuchung des Herzmuskels ermöglicht und auf diese Weise Funktionsstörungen früh erkennbar macht.

Geprüft wird außerdem, ob bestimmte Substanzen im Blut (zum Beispiel die Eiweiße Troponin T und Brain Natriuretic Peptide, kurz BNP) frühzeitg und verlässlich auf Herzerkrankungen hinweisen können, wenn sie in erhöhter Konzentration vorliegen. Sollte dies der Fall sein, könnten sie zukünftig als diagnostische Marker genutzt werden.

Vorbeugung von Spätfolgen am Herzen

Gut zu wissen: Patienten, die aufgrund ihrer Behandlung ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer Herz-Kreislauf-Erkrankung haben, sollten darauf achten, dass sie zusätzliche Risikofaktoren vermeiden. Dazu zählen zum Beispiel das Rauchen, Übergewicht und zu wenig Bewegung.

Ratsam sind eine gesunde Ernährung und regelmäßige sportliche Betätigung, allerdings kein Leistungssport. Wer auf Leistungssport nicht verzichten möchte, sollte vorab auf jeden Fall einen Arzt konsultieren. Eine ärztliche Konsultation empfiehlt sich auch vor einer Geburt, die so schonend wie möglich verlaufen soll. Darüber hinaus sollten Krankheiten wie Diabetes, erhöhter Blutdruck oder erhöhte Cholesterinwerte konsequent behandelt werden.

Mit all diesen Maßnahmen lässt sich das Gesamtrisiko für Herz-​ und Gefäßkrankheiten nach einer Krebsbehandlung vermindern.

Behandlung von Spätfolgen am Herzen

Wenn trotz vorbeugender Maßnahmen und regelmäßiger ärztlicher Kontrollen eine Herzmuskelerkrankung oder gar eine Herzinsuffizienz (Herzschwäche) auftritt, können verschiedene Medikamente unter Umständen zu einer Besserung beitragen. Zum Einsatz kommen zum Beispiel Beta-Blocker, ACE-Hemmer, Diuretika und Digitalispräparate. Offizielle Therapieempfehlungen gibt es derzeit noch nicht.

Literatur

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  2. Faber J, Wingerter A, Neu MA, Henninger N, Eckerle S, Münzel T, Lackner KJ, Beutel ME, Blettner M, Rathmann W, Peters A, Meisinger C, Linkohr B, Neuhauser H, Kaatsch P, Spix C, Schneider A, Merzenich H, Panova-Noeva M, Prochaska JH, Wild PS: Burden of cardiovascular risk factors and cardiovascular disease in childhood cancer survivors: data from the German CVSS-study. European heart journal 2018 May 1; 39: 1555 [PMID: 29534171] FAB2018
  3. Langer T, Meitert J, Dörr H-G, Beck J-D, Paulides M: Langzeitfolgen von onkologischen Erkrankungen bei Kindern - Erkennen, Vermeiden und Behandeln von Spätfolgen. Im Focus Onkologie 7-8, 2011 [URI: http://www.nachsorge-ist-vorsorge.de/ wp-content/ uploads/ 2013/ 06/ Erkennen-Vermeiden-und-Behandeln-von-Spätfolgen.pdf] LAN2011