Hochdosis-Chemotherapie mit Knochenmark-/Stammzelltransplantation

Autor:  Maria Yiallouros, Zuletzt geändert: 15.06.2021 https://kinderkrebsinfo.de/doi/e57083

Bei Kindern und Jugendichen mit AML, die ungenügend auf die Standardtherapie ansprechen oder ein hohes Rückfallrisiko haben (zum Beispiel durch ungünstige zytogenetische Eigenschaften der Leukämizellen), ist die Stammzelltherapie eine weitere Möglichkeit der Behandlung. Dies gilt auch für Patienten, die einen Krankheitsrückfall (Rezidiv) erleiden. Die Behandlung besteht aus einer Hochdosis-Chemotherapie, an die sich eine Übertragung (Transplantation) von Blutstammzellen aus dem Knochenmark oder Blut eines Spenders anschließt. Fachleute sprechen auch von hämatopoetischer Stammzelltransplantation (abgekürzt: HSZT oder SZT). Das Ziel dieser Therapie ist es, das erkrankte Knochenmark durch gesundes zu ersetzen.

Gut zu wissen: Blutstammzellen sind die „Mutterzellen“ aller Blutzellen. Sie werden im Knochenmark gebildet und können sich zu allen Formen von Blutzellen weiter entwickeln. Diese Fähigkeit der Stammzellen macht man sich bei der Stammzelltransplantation zunutze.

Voraussetzung für die Durchführung der Stammzelltherapie ist allerdings, dass bereits zuvor ein Großteil der Leukämiezellen durch eine Standard-Chemotherapie zerstört werden konnte, also eine Remission erreicht wurde. Da es sich um eine belastende und risikoreiche Behandlung handelt, sind auch das Alter und der allgemeine Gesundheitszustand des Patienten von Bedeutung. Als Spender kommen sowohl Geschwister als auch nicht verwandte Spender (Fremdspender) in Betracht, unter Umständen auch ein Elternteil (so genannte haploidentische Stammzelltransplantation).

Die Indikation für eine Stammzelltransplantation bei Kindern und Jugendlichen mit AML wird kontinuierlich den neuesten Forschungsergebnissen angepasst und bei jedem Patienten individuell getroffen.Das Behandlungsteam wägt den Nutzen und die Risiken der Behandlung genau gegeneinander ab und berücksichtigt dabei unter anderem das Ansprechen auf die vorherige Chemotherapie, das Rückfallrisiko des Patienten sowie den verfügbaren Spendertyp und die möglichen Komplikationen und Langzeitfolgen. Für erstmalig erkrankte Patienten mit einem günstigen Risikoprofil wird die Stammzelltransplantation auf Grundlage der neuesten Kenntnisse nicht mehr empfohlen. Für Hochrisiko- und Rezidivpatienten hat sich hingegen gezeigt, dass das Rückfallrisiko nach einer Stammzelltransplantation geringer ist als nach alleiniger Chemotherapie. Aber auch bei diesen Patienten werden immer die mit der Behandlung einhergehenden Komplikationen und schweren Langzeitnebenwirkungen im Auge behalten. [CRE2012a] [KLU2012] [SAN2010].

Wie läuft eine Stammzelltransplantation ab?

Die Stammzelltransplantation setzt sich aus zwei Phasen zusammen:

  • Konditionierung: Zunächst wird der Patient mit Hilfe einer hoch dosierten Chemotherapie so intensiv behandelt, dass sein gesamtes Knochenmark und im Idealfall auch alle Leukämiezellen zerstört werden. Diese vorbereitende Behandlung wird auch Konditionierung genannt. Meist besteht die Konditionierungsbehandlung aus Cyclophosphamid, Busulfan und Melphalan oder einer Kombination von Treosulfan, Fludarabine und Thiotepa.
  • Stammzelltransplantation: In der anschließenden Phase werden dem Patienten – als Ersatz für das zerstörte Knochenmark – gesunde Stammzellen der Blutbildung von einem geeigneten Spender übertragen. Der Patient erhält das Knochenmark durch eine Infusion. Die Blutstammzellen wandern in die Markhöhlen der Knochen, siedeln sich dort an und beginnen, neue funktionstüchtige Blutzellen zu bilden. In der Regel dauert es durchschnittlich drei bis sechs Wochen, bis das fremde Knochenmark angewachsen ist und sich die Blutwerte erholt haben.

Wenn die Transplantation erfolgreich ist, das heißt wenn die Blutbildung wieder in Gang kommt und tatsächlich keine Leukämiezellen die Vorbehandlung überlebt haben, ist der Patient meist dauerhaft von der Krankheit geheilt.

Welche Möglichkeiten der Transplantation gibt es?

Prinzipiell unterscheidet man nach Art des Spenders zwei Formen der Stammzelltransplantation: die allogene Stammzelltransplantation und die autologe Stammzelltransplantation. Bei der allogenen Stammzelltransplantation erhält der Patient gesunde Blutstammzellen von einer anderen Person. Bei der autologen Stammzelltransplantation bekommt der Patient sein eigenes Knochenmark übertragen, das ihm zuvor – in der Phase der Remission – entnommen wurde.

Gut zu wissen: Bei Kindern und Jugendlichen mit AML kommt ausschließlich die allogene Stammzelltransplantation in Betracht. Sie wird im Folgenden erläutert. Informationen zur Stammzelltransplantation im Allgemeinen erhalten Sie hier.

Allogene Stammzelltransplantation

Bei der allogenen Stammzelltransplantation (“allo“- ist eine griechische Silbe und bedeutet “anders“ oder “fremd“) erhält der Patient gesunde Blutstammzellen von einer anderen Person (Spender). Es kann sich dabei um einen Verwandten oder um einen Fremden handeln (je nach Art des Spenders wird zum Teil auch, sprachlich nicht ganz korrekt, von Familienspender- beziehungsweise Fremdspender-Transplantation gesprochen).

Entscheidend ist, dass der Spender mit dem Patienten bezüglich bestimmter Gewebemerkmale auf der Oberfläche der weißen Blutzellen, den so genannten HLA-Merkmalen (englische Abkürzung für: “human leukocyte antigens“) weitgehend übereinstimmt. Das ist wichtig:

  1. damit die Gefahr der Transplantatabstoßung (Empfänger-gegen-Spender-Reaktion, oder englisch: “Host-versus-Graft“-Reaktion, HvG) nicht zu groß ist und vor allem
  2. damit die Abwehrreaktionen der gespendeten Blutstammzellen gegen den Organismus des Empfängers nicht zu stark ausfallen. Die letztere, lebensgefährliche Immunreaktion wird als Spender-gegen-Empfänger-Reaktion (englisch: “Graft-versus-Host-Disease“, GvHD) bezeichnet (siehe auch Kapitel zu Risiken der Stammzelltransplantation).

Die Gewebeverträglichkeit zwischen Spender und Empfänger kann durch Blutuntersuchungen im Labor bestimmt werden. Bei Geschwistern des Patienten besteht eine 25-prozentige Chance, dass sie mit dem Patienten in den HLA-Merkmalen übereinstimmen, das heißt HLA-identisch sind. Die Möglichkeit, im weiteren Familienkreis passende Spender zu finden, ist dagegen gering. Wenn kein passender verwandter Spender zu finden ist, wird in nationalen und internationalen Knochenmarkspender-Registern nach nicht verwandten, freiwilligen Spendern mit weitgehend identischen Gewebemerkmalen gesucht. Die Chance, auf diese Weise einen geeigneten Spender zu finden, liegt heute bei 80 bis 90 %, da weltweit mehrere Millionen freiwillige Spender registriert sind und monatlich Tausende hinzukommen.

Falls für einen Patienten kein HLA-identischer Spender gefunden wird, er aber aufgrund einer besonders schlechten Prognose‎ dringend eine Transplantation benötigt, kommt auch ein nicht HLA-identischer Spender aus der Familie infrage, in der Regel ein Elternteil, dessen HLA-Merkmale zumindest zur Hälfte mit jenen des Patienten übereinstimmen (haploidentische Stammzelltransplantation‎). In diesem Fall müssen jedoch bestimmte Blutzellen (Lymphozyten), die eine Spender-gegen-Empfänger-Reaktion‎ beim Empfänger auslösen können, vollständig aus dem Transplantat entfernt werden.

Wie werden die Stammzellen gewonnen?

Die Stammzellen können entweder aus dem Knochenmark, dem Ort ihrer Entstehung, oder aus der Blutbahn gewonnen werden. Im ersten Fall nennt man das Verfahren ihrer Übertragung Knochenmarktransplantation, im zweiten Fall periphere Stammzelltransplantation. Die aus Knochenmark oder Blutbahn isolierten Stammzellen werden bis zum Zeitpunkt der Transplantation in speziellen Anlagen bei minus 196°C tiefgefroren (Kryokonservierung) und in flüssigem Stickstoff gelagert.

Stammzellgewinnung aus dem Knochenmark

Bei der Knochenmarkentnahme wird dem Spender, nach vorheriger eingehender Untersuchung, etwa ein Liter Knochenmarkblut durch Punktionen an beiden Beckenknochen entnommen. Diese Menge ist notwendig, um eine ausreichende Zahl blutbildender Stammzellen für den Wiederaufbau der Blutbildung zu erhalten. Da die Entnahme mit Schmerzen verbunden ist, erfolgt sie unter Vollnarkose. Die roten Blutkörperchen werden dem Spender nach Abtrennung der Stammzellen zurück transfundiert, um den Blutverlust gering zu halten.

Das entnommene Knochenmark bildet sich innerhalb von zwei Wochen wieder nach. Der Spender kann nach zwei- bis dreitägigem Aufenthalt im Krankenhaus wieder nach Hause gehen. Schmerzen, die noch einige Tage nach der Entnahme auftreten können, lassen sich mit Schmerzmitteln gut lindern. Abgesehen vom allgemeinen Narkoserisiko ist die Knochenmarkentnahme ungefährlich.

Stammzellgewinnung aus dem Blut

Alternativ zur Knochenmarktransplantation findet heute zunehmend die Übertragung von Stammzellen statt, die aus dem Blutkreislauf des Spenders gewonnen werden; man spricht in diesem Fall auch von „peripherer Stammzelltransplantation“. Denn: Stammzellen der Blutbildung (Blutstammzellen) finden sich nicht nur im Knochenmark, sondern auch im zirkulierenden Blut.

Allerdings sind Stammzellen im Blut unter normalen Bedingungen nur in geringen Mengen vorhanden. Daher wird dem Spender vier bis fünf Tage vor der Stammzellentnahme täglich eine körpereigene Hormon-ähnliche Substanz, ein so genannter Wachstumsfaktor (zum Beispiel G-CSF) in die Haut gespritzt, der die Stammzellen dazu anregt, vermehrt aus dem Knochenmark in die Blutbahn überzutreten. Anschließend werden die Stammzellen mit Hilfe einer speziellen Zentrifugeneinrichtung (Blutzell-Separator) aus dem Venenblut des Spenders gesammelt. Um genügend Stammzellen für eine erfolgreiche Transplantation zu erhalten, muss dieser Vorgang, die so genannte Stammzell-Apherese, an einen oder auch zwei aufeinanderfolgenden Tag(en) über jeweils zwei bis vier Stunden durchgeführt werden.

Gegenüber der Knochenmarktransplantation hat diese Methode gewisse Vorteile: Die Entnahme der Stammzellen beim Spender kann ohne Narkose erfolgen. Außerdem hat sich gezeigt, dass beim Empfänger die Blutbildung nach der Transplantation schneller wieder in Gang kommt. Die Phase akuter Infektionsgefahr ist dadurch verkürzt.

Welche Risiken und Nebenwirkungen sind mit einer Stammzelltransplantation verbunden und welche Maßnahmen werden zu ihrer Vorbeugung beziehungsweise Linderung ergriffen?

Eine Stammzelltransplantation ist für den Patienten eine sehr risikoreiche und belastende Behandlung. Sie geht mit zum Teil lebensbedrohlichen Komplikationen einher, an denen einige Patienten versterben.

Risiken der Konditionierung (Chemo-/Strahlentherapie)

Risiken ergeben sich bei einer Stammzelltransplantation zunächst durch die Knochenmark-zerstörende Chemotherapie (selten Strahlentherapie), die der eigentlichen Transplantation vorausgeht; sie bringt die Immunabwehr des Patienten fast gänzlich zum Erliegen. Vor allem in der Zeit unmittelbar nach der intensiven Therapie und bevor die übertragenen Stammzellen die Blutbildung wieder in Gang gesetzt haben, ist der Patient durch den Mangel an Abwehrzellen extrem infektionsgefährdet.

Zum Schutz vor Infektionen (durch Bakterien, Viren und Pilze) erfolgt deshalb bereits vorbeugend eine Behandlung mit entsprechenden Medikamenten. Außerdem muss sich der Patient in der Zeit vor und nach der Transplantation in einer Sterileinheit aufhalten, zu der außer Ärzten und Pflegepersonal nur wenige Personen – vielfach sogar in Schutzkleidung und mit Mundschutz – Zutritt haben. Die fehlenden roten Blutzellen (Erythrozyten) und Blutplättchen (Thrombozyten) müssen, bis das transplantierte Knochenmark die Blutbildung übernimmt, durch Transfusion ersetzt werden.

Die Zeit, in der die Bildung von Blutzellen brach liegt, wird als „Aplasie“-Phase bezeichnet [siehe Knochenmarkaplasie]. In der Regel beginnen die transplantierten Stammzellen mit einer Verzögerung von etwa 10 bis 20 Tagen mit der Produktion von Blutzellen. Sobald ausreichend weiße Blutzellen vorhanden sind, kann die Isolation aufgehoben werden. Dies ist normalerweise nach drei bis sechs Wochen der Fall.

Risiken der Transplantation

Auch die Transplantation selbst kann mit verschiedenen Komplikationen verbunden sein. So besteht immer die (geringe) Gefahr, dass das transplantierte Knochenmark nicht „anwächst“. Darüber hinaus muss bei einer allogenen Stammzelltransplantation – selbst bei guter Gewebeverträglichkeit – immer damit gerechnet werden, dass die mit dem Transplantat übertragenen Immunzellen des Spenders den Körper des Empfängers als fremd erkennen und angreifen. Diese Reaktion wird als Spender-gegen-Empfänger-Reaktion (englisch: "Graft-versus-Host-Disease“, GvHD) bezeichnet. Sie richtet sich hauptsächlich gegen Haut, Leber und Darm des Patienten und kann unter Umständen lebensgefährlich werden.

Ein positiver Effekt der allogenen Transplantation ist hingegen, dass sich die Abwehrzellen des Spenders auch gegen im Körper verbliebene Leukämiezellen des Patienten richten und diese vernichten (Spender-gegen-Leukämie-Reaktion). Dies schützt den Patienten effektiver vor einem Krankheitsrückfall.

Maßnahmen zur Vorbeugung und Behandlung von Nebenwirkungen

Um das Auftreten der Spender-gegen-Empfänger-Reaktion zu verhindern oder um die Schwere dieser Reaktion zu mindern, werden nach der Transplantation Medikamente verabreicht, die die Immunreaktion unterdrücken. Diese Behandlung trägt dazu bei, dass nach der Transplantation noch längere Zeit eine erhöhte Infektionsgefahr besteht. Bis das körpereigene Abwehrsystem wieder völlig intakt ist, dauert es etwa ein Jahr. Während dieser Zeit ist der Patient für Infektionen erheblich anfälliger als andere Menschen. Empfehlungen und Verhaltenshinweise zur Verminderung des Infektionsrisikos sollten daher unbedingt beachtet werden. Der Arzt und das Pflegepersonal werden Sie ausführlich beraten.

Eine Stammzelltransplantation ist mit verschiedenen Spätfolgen verbunden, die vor allem auf die hoch dosierte Chemotherapie und die Ganzkörperbestrahlung zurückzuführen sind. Informationen hierzu finden Sie im Kapitel "Spätfolgen".

Trotz der möglichen Nebenwirkungen darf jedoch nicht vergessen werden, dass die Stammzelltransplantation in vielen Fällen die einzige Chance ist, eine AML zu heilen.

Weitere Informationen zur Stammzelltransplantation erhalten Sie hier.

Basisliteratur

  1. Creutzig U, Dworzak M, Reinhardt D: Akute myeloische Leukämie (AML) im Kindes- und Jugendalter. Leitlinie der Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie AWMF [URI: https://www.awmf.org/ uploads/ tx_szleitlinien/ 025-031l_S1_Akute-myeloische-Leukaemie–AML–Kinder-Jugendliche_2019-09.pdf] CRE2019
  2. Handgretinger R, Matthes-Martin S, Lang P: Hämatopoetische Stammzelltransplantation. in: Niemeyer C, Eggert A (Hrsg.): Pädiatrische Hämatologie und Onkologie, Springer-Verlag GmbH Deutschland 2. vollständig überarbeitete Auflage 2018, 17 [ISBN: 978-3-662-43685-1] HAN2018
  3. Creutzig U, Reinhardt D: Akute myeloische Leukämien, in Niemeyer CH, Eggert A (Hrsg.): Pädiatrische Hämatologie und Onkologie. Springer-Verlag GmbH Deutschland 2018 [ISBN: 3540037020] CRE2018
  4. Niewerth D, Creutzig U, Bierings MB, Kaspers GJ: A review on allogeneic stem cell transplantation for newly diagnosed pediatric acute myeloid leukemia. Blood 2010, [PMID: 20538803] NIE2010
  5. Ebell W: Hämatopoetische Stammzelltransplantation. in: Gadner H, Gaedicke G, Niemeyer CH, Ritter J:. Pädiatrische Hämatologie und Onkologie Springer-Verlag, 2006, 66 [ISBN: 3540037020] EBE2006a