Target”-Gruppe 1: Signalwege, die Zellwachstum und Zellreifung fördern
Autor: PD Dr. med. Gesche Tallen, Zuletzt geändert: 03.04.2019 https://kinderkrebsinfo.de/doi/e208749
Inhaltsverzeichnis
Diese Therapie richtet sich gegen das unkontrollierte Wachstum und die oft fehlende Ausreifung von Krebszellen. Dabei werden mit den im Folgenden genannten Substanzen verschiedene molekulare Signalwege gehemmt, die Zellwachstum und Zellreifung fördern. Zu den derzeit in der Pädiatrischen Onkologie an Relevanz zunehmenden Signalwegen gehören beispielsweise verschiedene Kinase-Kaskaden und der Hedgehog-Signalweg.
Kinasen
Kinasen sind körpereigene Katalysatoren (Enzyme) im Zellstoffwechsel. Eine ihrer Hauptfunktionen ist es, bestimmte Eiweiße (Proteine) zur Aktivität anzuregen (phosphorylieren). Dabei handelt es sich um Proteine, die bestimmte Signalwege in (Zellen, darunter auch solche, die für das Zellwachstum verantwortlich sind, kontrollieren, das heißt diese entweder hemmen oder aktivieren. Menschliche Zellen verfügen über viele verschiedene Kinasen (zum Beispiel Proteinkinasen wie die Tyrosinkinase oder Phosphoinositol-Kinasen). Sie halten die Aktivität der aktivierenden und hemmenden Kontrollproteine im Signalnetzwerk gesunder Zellen im Gleichgewicht. Funktioniert eine Kinase nicht richtig, kann das dazu führen, dass ein bestimmter Signalweg überaktiviert beziehungsweise nicht ausreichend gehemmt wird. In der Folge kommt es dann zu unkontrolliertem Wachstum, einem typischen Krebsmerkmal.
Folgende neue Behandlungsansätze zielen darauf ab, funktionsbeeinträchtigte Kinasen in Krebszellen außer Gefecht zu setzen.
Target: Tyrosinkinase (BCR-ABL-Fusionsprotein) in Leukämien
Patienten mit Blutkrebs, bei denen das Philadelphia-Chromosom nachgewiesen wurde (meist chronische myeloische Leukämie – CML, seltener (akute lymphoblastische Leukämie oder (akute myeloische Leukämie – ALL, AML) produzieren ein krankhaftes Protein, das so genannte bcr-abl-Fusionsprotein. Dabei handelt es sich um eine funktionsuntüchtige Tyrosinkinase. Die Funktionsstörung dieser Kinase wird fürfehlende Wachstumshemmung von veränderten Blutstammzellen und damit für die Entstehung von Leukämien verantwortlich gemacht.
Der TyrosinkinaseHemmer Imatinib (Handelsname: Glivec®) hemmt die Katalysator-Aktivität einer kranken, krebserzeugenden Proteinkinase (Fusionsprotein bcr-abl).
Eine Therapie mit Imatinib bei vielen Patienten mit CML und positivem Philadelphia-Chromosom hat sich bereits als erfolgreich gezeigt. Imatinib kommt mittlerweile bei Kindern und Jugendlichen mit der (in dieser Altersgruppe) sehr seltenen CML [SUT2010] sowie auch bei der Behandlung der Philadelphia-Chromosompositiven ALL zum Einsatz.
Target: PI3K/Akt/mTOR-Signalweg und Wachstumsfaktoren in Sarkomen
„PI3K/Akt/mTOR“ steht für „PhosphoInositol3Kinase[PI3K]/Akt/Mammalian Target Of Rapamycin [mTOR]“. Dabei handelt es sich um einen stufenweise ablaufenden Signalweg für Kinasen. Die Kinasen des PI3K/Akt/mTOR-Signalwegs arbeiten mit bestimmten Wachstumsfaktoren (zum Beispiel „Insulin-like Growth Factor, IGF“ und „Epidermal Growth Factor, EGF“) zusammen und kontrollieren auf diese Weise Zell-Wachstum, -Vermehrung und –Überleben.
Man weiß heute, dass die PI3K/Akt/mTOR-Kinasenkaskade in manchen Tumorarten bei Kindern und Jugendlichen krankhaft aktiviert ist.
Darüber hinaus ist der PI3K/Akt/mTOR-Signalweg in manchen Rhabdomyosarkomen und Ewing-Sarkomen mit bestimmten genetischen Eigenschaften viel aktiver ist als in gesundem Gewebe. Die Überaktivität ist bei Patienten mit Sarkomen und diesen genetischen Veränderungen stärker ausgeprägt als bei Patienten mit Sarkome, die diese Eigenschaften nicht aufweisen. Das liegt daran, dass die genetischen Veränderungen die Aktivität von IGF in diesen Tumoren steigern.
Die PI3K/Akt/mTOR-Kinasenkaskade kann mit bestimmten (Antikörpern gegen IGF blockiert und dadurch Tumorwachstum vermindert werden. Die Prüfung dieser Antikörper befindet sich allerdings derzeit noch in der präklinischen Phase (s. Präklinische Forschung).
Gut zu wissen: Bei Patienten mit erblich bedingtem Risiko für eine Tuberöse-Sklerose (TSC) kommt es zum häufigen Auftreten von Hirntumoren (SEGAs), die durch eine Aktivierung dieses Signalweges verursacht sind. Mittlerweile ist der mTOR-Inhibitor „Everolimus“ für die Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit diesen Tumoren zugelassen.
Target: NTRK-Signalweg in Sarkomen, Gliomen und anderen soliden Tumoren
Spezielle Gen-Veränderungen in der NTRK (Tyrosin)-Kinase-Familie kommen bei etwa 3 - 5% der Tumoren von Kindern und Jugendlichen vor. Bei diesen Veränderungen handelt es sich um so genannte Fusionen, das heißt Verschmelzungen von Genen der NTRK-Familie mit benachbarten Genen. Diese Verschmelzungen führen zu krankhaften Veränderungen der jeweils auf den betroffenen Genabschnitten gespeicherten Erbinformation.
Am häufigsten finden sich NTRK-Fusionen in den so genannten infantilen Fibrosarkomen, einer seltenen Form von Weichgewebstumoren, die im Säuglings- und Kleinkindalter auftreten. Sie kommen jedoch auch in Gliomen, seltenen Nierentumoren, Schildrüsentumoren und verschiedenen anderen sehr seltenen Tumorerkrankungen bei kleinen Kindern vor.
Der Kinase-Hemmer Larotrectinib hat in Phase I/II-Studien (siehe Klinische Studien) beeindruckende Ergebnisse bei der Behandlung von Tumoren mit NTRK-Fusionen gezeigt, die auf andere Therapien nicht ansprachen.
In den USA wurde Larotrectinib 2018 von der FDA (Lebensmittelüberwachungs- und Arzneimittelbehörde der USA) für die Behandlung von Patienten mit NTRK-Fusion positiven soliden Tumoren zugelassen, und damit erstmalig rein aufgrund der molekularen Eigenschaften der Erkrankung – unabhängig vom Alter des Patienten und von der Art des Tumors.
Wichtig zu wissen: Die NTRK-Fusion ist ein seltenes Beispiel für eine besonders starke Abhängigkeit zwischen Tumorüberleben und einer einzelnen genetischen Veränderung (so genannte „oncogene addiction“).
Target: Anaplastische Lymphomkinase (ALK) in Neuroblastomen
Im Jahr 2013 entdeckten Forscher die Mutation und damit verbundene Überaktivität einer bestimmten Proteinkinase (s.o.) in einer bestimmten Gruppe von Lymphomen, den anaplastischen Lymphomen. Sie wurde daraufhin anaplastische Lymphomkinase (ALK) [HAL2013a] genannt.
In manchen Neuroblastomen und Rhabdomyosarkomen findet sich ebenfalls eine mutierte und daraufhin überaktivierte ALK. Dieser krankhaft gesteigerte Proteinablauf (überaktive Kinase) kann mit bestimmten Medikamenten, den Inhibitoren, gehemmt werden.
ALK-Inhibitoren zur Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit soliden Tumoren beziehungsweise mit anaplastischem großzelligen Lymphom befinden sich derzeit in der klinischen Prüfphase (s. Klinische Studien).
ALK-Hemmer können Tumorwachstum reduzieren.
Target: MAPK-Signalweg in Gliomen und Tumoren bei Patienten mit Neurofibromatose
Der MAPK-Signalweg beschreibt eine Kaskade von Kinasen, den so genannten Mitogen-aktivierten-Protein-Kinasen (siehe oben), die zahlreiche Vorgänge in einer Zelle (insbesondere Zellwachstum und -Überleben) fördern. Wichtige Gene, die MAP-Kinasen produzieren, jedoch in manchen Tumoren bei Kindern und Jugendlichen nicht richtig funktionieren, sind zum Beispiel BRAF und KIAA (siehe unten).
BRAF-Mutationen
Bei über 10% der Kinder und Jugendlichen mit niedriggradig und hochgradig malignen Gliomen haben die Tumoren eine Mutation im BRAF-Gen (so genannte BRAFV600E-Mutation).
BRAF V600E-Mutation
Die biologischen und klinischen Effekte von BRAFV600E in Gliomen sind zwar im Detail noch nicht geklärt, man weiß jedoch, dass Patienten mit Gliomen und BRAFV600E-Nachweis insgesamt eine schlechtere Prognose haben als Patienten ohne Mutation. In ersten klinischen Studien zur Behandlung von BRAFV600E-positiven Krebserkrankungen zeigt sich eine vielversprechende Wirksamkeit mit Substanzen, die BRAFV600E gezielt hemmen. Diese Substanzen sind bereits für die Behandlung von (erwachsenen) Patienten mit Hautkrebs (Melanom) zugelassen.
Aktuell wird in klinischen Studien bei Kindern und Jugendlichen mit Gliomen untersucht, ob die Kombinationstherapie von einem BRAFV600E-Hemmer mit anderen Hemmstoffen, wie beispielsweise den so genannten „MEK-Inhibitoren“ (siehe unten), die Wirksamkeit noch weiter steigern und die klinisch beobachteten Ansprechraten dauerhaft verlängern kann, und ob die Kombinationsbehandlung besser wirkt als eine herkömmliche Chemotherapie (https://clinicaltrials.gov/ct2/show/NCT02684058). Außerdem wird derzeit daran gearbeitet, das Auftreten unerwünschter Nebenwirkungen, insbesondere von Hautreaktionen, die bei der Behandlung mit BRAFV600E-Hemmern nicht selten sind, besser vorzubeugen.
BRAF-KIAA-Fusionen
Bei den meisten Patienten mit pilozytischem Astrozytom und vielen anderen niedriggradig malignen Gliomen findet sich eine Verschmelzung (Fusion) vom BRAF-Gen (siehe oben) mit dem KIAA-Gen sowie andere Veränderungen im MAPK-Signalpfad, die alle zu dessen Überaktivierung und in der Folge zu gesteigertem Zellwachstum und -überleben führen.
Bei Patienten mit einer Neurofibromatose Typ 1 (NF1) kommt es infolge des erblichen Verlustes des NF1-Tumorsuppressorgens zum gehäuften Auftreten von Sehbahngliomen und anderen Tumoren (Neurofibromen), die ebenfalls eine Überaktivierung des MAPK-Signalpfades in den Tumorzellen aufweisen.
Gut zu wissen: Phase I/II Studien mit so genannten MEK-Hemmern, Substanzen, die den MAPK-Signalpfad gezielt blockieren, zeigen erfolgreiche Behandlungsergebnisse – vor allem bei Tumorpatienten mit NF1 oder mit Gliomen mit BRAF-KIAA-Fusion.
Hedgehog-Signalweg
Der Hedgehog-Signalweg ist besonders in der normalen Embryonalentwicklung an der Ausreifung von Muskel- und Nervenzellen beteiligt. Störungen dieses Signalwegs entstehen durch Mutationen von Wachstumshemmern (Tumorsuppressorgene „PATCH1“ und „SMO“) und führen zu unkontrolliertem Zellwachstum.
Target: Hedgehog-Signalweg in embryobalen Tumoren
PATCH1- und SMO-Mutationen kommen vornehmlich in sehr unreifen (embryonalen) Tumoren des Muskel- oder Nervengewebes, bei Kindern und Jugendlichen beispielsweise in manchen Hirntumoren (Medulloblastomen, Glioblastomen), Neuroblastomen, Sarkomen sowie auch manchen Leukämieformen (T-ALL) vor.
Hedgehog-Hemmer wie Vismodigib oder LDE225 können das Wachstum von Tumoren mit gestörtem Hedgehog-Signaleweg reduzieren.
Hedgehog-Hemmer zur Behandlung von Medulloblastomen und anderen embryonalen Tumoren (s.o.) beziehungsweise von T-ALL befinden sich derzeit in der klinischen beziehungsweise präklinischen Prüfphase (s. Klinische Forschung, Präklinische Forschung).
Hedgehog-Hemmer zur Behandlung von Medulloblastomen und anderen embryonalen Tumoren (siehe oben) beziehungsweise von T-ALL befinden sich derzeit in der klinischen beziehungsweise präklinischen Prüfphase (siehe Klinische Forschung, Präklinische Forschung).