Langzeitnachsorge bei Krebs im Kindes- und Jugendalter

In diesem Text erhalten Sie einleitende Informationen zu therapie- und krankheitsbedingten Langzeitfolgen sowie zu Zielen, Bedeutung und aktueller Situation der Langzeitnachsorge.

Autor:  Dr. med. Gesche Riabowol (geb. Tallen), Christine Vetter, Maria Yiallouros, Freigabe:  Prof. Dr. med. Ursula Creutzig, Zuletzt geändert: 24.10.2024 https://kinderkrebsinfo.de/doi/e142134

In den vergangenen Jahren und Jahrzehnten haben sich die Behandlungsmöglichkeiten und damit die Heilungschancen von Kindern und Jugendlichen mit einer Krebserkrankung kontinuierlich verbessert. Derzeit erkranken in Deutschland jedes Jahr etwa 2.000 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren neu an Krebs. Während die durchschnittlichen Überlebensraten in den 50er Jahren mit 20 % sehr gering waren, überleben heute vier von fünf Kindern (rund 80 %) ihre Krebserkrankung.

Dank dieser guten Heilungsaussichten steigt auch stetig die Zahl der Kinder und vor allem der Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die ihre Erkrankung und die intensiven Behandlungen erfolgreich überwunden haben. So leben über 38.000 Menschen in Deutschland, die in ihrer Kindheit oder Jugend an Krebs erkrankt waren und sich derzeit in Langzeitnachbeobachtung befinden.

Langzeitfolgen durch Krankheit und Behandlung

Viele Überlebende einer Krebserkrankung im Kindes- oder Jugendalter leiden langfristig unter verschiedenen gesundheitlichen Problemen. Diese Spätfolgen oder Langzeitfolgen können einerseits durch die Krankheit selbst, andererseits aber auch durch die intensive Therapie verursacht werden, die für eine erfolgreiche Behandlung notwendig ist. Darüber hinaus haben viele Überlebende Schwierigkeiten damit, die Zeit der Erkrankung und Behandlung innerlich zu verarbeiten und sich später wieder als aktive Gesellschaftsmitglieder in den Alltag einzugliedern.

Zu den körperlichen Langzeitfolgen nach einer Krebserkrankung gehören insbesondere Schädigungen gesunder Organe. Nahezu alle Organsysteme können von Spätfolgen betroffen sein: zum Beispiel Herz-Kreislaufsystem, Gehör, Lunge, Leber, Darm, Harnblase und Nieren, Geschlechtsorgane, Hormondrüsen, Nervensystem, Knochen und Muskulatur. Auch kann es zu einer weiteren Krebserkrankung, der so genannten „Zweitkrebserkrankung“ und, seltener, zu einem Krankheitsrückfall (Rezidiv) kommen.

Welche Probleme im Einzelnen auftreten können, hängt insbesondere von der Art der Krebserkrankung, der Art der durchgeführten Behandlung sowie von der persönlichen Situation des Patienten ab.

So haben zum Beispiel ehemalige Patienten, die "nur" eine Chemotherapie erhalten haben oder die "nur" operiert wurden, in der Regel mit anderen Spätfolgen zu rechnen als Kinder und Jugendliche, bei denen außerdem eine Strahlentherapie durchgeführt wurde. Darüber hinaus kommt es darauf an, welche Substanzen bei einer Chemotherapie verabreicht wurden und wie hoch die Dosierungen dabei waren. Bei einer Strahlentherapie spielt es eine Rolle, welche Körperregion bestrahlt wurde und wie intensiv die Bestrahlung war. Dies bedeutet allerdings keineswegs, dass bei jedem ehemaligen Patienten nach einer entsprechenden Behandlung Spätfolgen auftreten!

Über spezifische Organschädigungen hinaus leiden viele ehemalige Patienten auch an Müdigkeit, Konzentrations- und Gedächtnisstörungen. Oft fällt zudem die psychische Verarbeitung all der Erfahrungen mit der tödlichen Erkrankung schwer, und die Patienten leiden unter einem „Posttraumatischen Stress-Syndrom“ (PTSS), auch „Posttraumatische Belastungsstörung“ (PTBS oder engl. PTSD) genannt. Der Wiedereinstieg in das normale Leben, die Rückkehr in das alte soziale Umfeld oder die Suche nach einem geeigneten Ausbildungs- oder Arbeitsplatz kann aus diesen Gründen oft schwer fallen.

Die Bedeutung der Nachsorge

Die langfristige Nachsorge ist unabdingbar nach einer Krebserkrankung im Kindes- und Jugendalter. Sie dient dazu, eventuell auftretende Spätfolgen der Krebsbehandlung frühzeitig zu erkennen und zu behandeln und den Patienten auch psychosozial zu unterstützen.

Regelmäßige Nachsorgeuntersuchungen spielen in diesem Zusammenhang von Anfang an eine wichtige Rolle. Für die Nachsorgesprechstunden haben Kinderonkologen einen auf jede Tumorerkrankung speziell ausgerichteten Nachsorge-Kalender erarbeitet, der regelmäßig dem aktuellen Wissensstand angepasst wird. Diese Nachsorge-Kalender geben vor, in welchen Abständen welche Untersuchungen durchgeführt werden sollten.

Wichtig zu wissen: Nachsorgeuntersuchungen sind als Sicherheitsmaßnahme zu verstehen und bedeuten keineswegs, dass entsprechende Komplikationen auftreten müssen.

Bei jedem Nachsorgetermin wird eine eingehende klinische, das heißt, körperliche Untersuchung durchgeführt, bei der sowohl die allgemeine Verfassung des ehemaligen Patienten als auch verschiedene Körperfunktionen geprüft werden.

Besonders in den ersten Jahren nach Therapieende wird sorgfältig und engmaschig untersucht, ob es Zeichen für einen Krankheitsrückfall (Rezidiv) gibt. Um dies auszuschließen oder rechtzeitig zu bemerken, erfolgen – je nach Art der Erkrankung – zusätzlich Blutuntersuchungen und/oder verschiedene bildgebende Verfahren.

Im Rahmen der Langzeitnachsorge dienen die Nachsorgeuntersuchungen vor allem dem Nachweis beziehungsweise Ausschluss einer eventuell auftretenden Zweitkrebserkrankung sowie behandlungsbedingter Organschädigungen. Zeitpunkte und Art der Untersuchungen hängen besonders vom individuellen Risiko des Patienten für bestimmte Komplikationen ab.

Wichtig: Alle, die in ihrer Kindheit oder Jugend an Krebs erkrankt waren, sollten die empfohlenen Nachsorgetermine regelmäßig wahrnehmen. Denn: Nachsorge ist gleichzeitig Vorsorge!

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Hauptziele der Langzeitnachsorge auf einen Blick

Die wichtigsten Ziele der Langzeitnachsorge sind:

  1. Frühzeitiges Erkennen und rechtzeitiges Behandeln von Spätfolgen
  2. Erfassung/Dokumentation der Spätfolgen (siehe unten)
  3. Verbesserung zukünftiger Behandlungsmethoden (basierend auf den gewonnenen Erkenntnissen, siehe Punkt 2)
  4. Unterstützung bei der Wiedereingliederung, insbesondere: bei der Rückkehr in Schule, Ausbildung, Beruf; beim Wechsel von der kinderärztlichen Versorgung in das System der Erwachsenenmedizin
  5. Unterstützung bei der Verarbeitung von positiven und negativen Erfahrungen durch die Krebserkrankung und deren Behandlung (so genanntes "Posttraumatisches Wachstum" beziehungsweise "Posttraumatisches Stress-Syndrom")

Die Erfassung/Dokumentation der Spätfolgen wird zukünftig die Beantwortung der folgenden Fragen ermöglichen:

  • Bei welchen Patienten treten welche Spätfolgen auf und wann?
  • Warum tragen einige Patienten ein höheres Risiko als andere, später an bestimmten gesundheitlichen Problemen zu leiden?
  • Wie wirken sich die unterschiedlichen Spätfolgen auf das Alltagsleben der Überlebenden aus?

Aktuelle Situation in der Langzeitnachsorge

Mit der zunehmenden Zahl der Langzeitüberlebenden nimmt die Bedeutung von Spätfolgen einer Krebstherapie und deren Auswirkungen auf die (gesundheitsbezogene) Lebensqualität der Patienten zu. Nicht nur der ehemalige Patient selbst, sondern auch Kinderärzte und Ärzte verschiedenster Disziplinen in der Erwachsenenmedizin werden immer häufiger mit den Folgen einer ehemaligen Krebserkrankung im Kindes- und Jugendalter konfrontiert.

Während die so genannte „Frühnachsorge-Phase“, das heißt die Zeit der Nachsorge in den ersten Jahren nach Therapieende, in der Regel noch im vertrauten Behandlungszentrum stattfindet, fühlen sich viele ehemalige Patienten nach dieser Zeit im Hinblick auf ihre gesundheitliche Situation alleingelassen. Das trifft in besonderem Maße dann zu, wenn sie das Erwachsenenalter erreicht haben und das frühere Behandlungszentrum und Behandlungsteam für sie nicht mehr zuständig ist.

Wohin wenden? Wer ist zuständig? Nicht nur die Patienten fühlen sich in dieser Zeit oft überfordert. Auch Fachärzte, Psychologen und (Psycho-)Therapeuten sind häufig nicht mit den Beschwerden und der Situation von Langzeitüberlebenden einer Krebserkrankung vertraut und können diesen infolgedessen nicht immer im gewünschten und erforderlichen Maße helfen.

Informationen über Spätfolgen sind sowohl für Betroffene als auch für die meist nicht auf Kinderkrebserkrankungen spezialisierten Hausärzte und Psychologen unzureichend. Mangelhaft informiert und entsprechend überfordert mit den Bedürfnissen der Langzeitüberlebenden sind auch die nationalen Gesundheits-, Schul- und Ausbildungssysteme. Dies hängt unter anderem damit zusammen, dass die einzelnen Spätfolgen in Deutschland bislang noch nicht ausreichend untersucht wurden und es noch kein ausgefeiltes Konzept gibt, fach- und sachgerecht damit umzugehen. Darüber hinaus fehlt es derzeit noch an flächendeckenden Versorgungsstrukturen, also zum Beispiel einer strukturierten Vernetzung von Kliniken, ambulanten Einrichtungen und Ärzten.

Gut zu wissen: Um die aktuelle Situation in der Langzeitnachsorge nachhaltig zu verbessern, sind in den letzten Jahren verschiedene, zum Teil von der Europäischen Union geförderte, Initiativen aktiv geworden. Ihr Ziel ist es, gemeinsam bundes- und/oder europaweite Nachsorgenetzwerke aufzubauen, die den Bedürfnissen der Langzeitüberlebenden gerecht werden.

Projekte zum Thema Langzeitnachsorge

Einige wichtige Initiativen, die der Förderung der Langzeitnachsorge und der Verbesserung der Informationslage dienen, sind im Folgenden aufgeführt. Wir erheben mit den genannten Beispielen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

Projekt VIVE

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Das Projekt VIVE, das vom Universitätsklinikum Münster aus geleitet wird, befasst sich mit der systematischen deutschlandweiten Erfassung und Auswertung von Spätfolgen nach Krebs im Kindes- und Jugendalter.

Im Rahmen einer mehrjährigen Studie wurden etwa 10.000 ehemalige Krebspatienten zu Spätfolgen, ihrem Gesundheitszustand und ihrer Lebensqualität befragt. Die Ergebnisse aus den Rückmeldungen zu dieser Befragung werden unter Berücksichtigung der jeweils angewandten Therapieverfahren wissenschaftlich ausgewertet mit dem Ziel, daraus genauere Kenntnisse über die Zusammenhänge zwischen Art der Krebstherapie und Spätfolgenrisiko zu gewinnen. Mehr dazu erfahren Sie hier.

 

PanCare

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PanCare ist ein europaweites Netzwerk, das die Verringerung von Spätfolgen nach einer Krebserkrankung im Kindes- und Jugendalter zum Ziel hat. Es beinhaltet verschiedene Projekte zu unterschiedlichen Themen.

Zu den inzwischen abgeschlossenen Projekten gehörten u. a. die Erforschung von Hörstörungen, Fruchtbarkeit und Lebensqualität nach Krebstherapie (PanCareLIFE) sowie die Untersuchung von Spätfolgen für das Herz-Kreislauf-System, Spätmortalität und des Zweitkrebsrisikos (PanCareSurFup). Zu den aktuellen Projekten zählt z. B. PanCareSurPass; es strebt eine bessere Implementierung des digitalen Survivorship-Passports (SurPass) an. Einen Überblick über aktuelle und ehemalige Projekte erhalten Sie hier.

 

LESS - Late-Effect-Surveillance-System

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Das LESS-Studienzentrum sammelt und analysiert bereits seit Anfang der 90er Jahren innerhalb eines deutschlandweiten Netzwerkes Daten über Spätfolgen bei Überlebenden von Krebserkrankungen im Kindes- und Jugendalter. Vor mehr als zehn Jahren hat die Projektgruppe zudem mit der Herausgabe von Patientenbroschüren zu Langzeitfolgen bei verschiedenen Krebserkrankungen begonnen, um dem Informationsbedarf der Betroffenen in diesem Bereich entgegenzukommen.

Anfang 2014 eröffnete LESS unter dem Motto „Nachsorge ist Vorsorge“ ein Portal, das neben den Patientenbroschüren weitere Informationen zum Thema Nachsorge bereithält, für Betroffene ebenso wie für Ärzte. Mehr dazu finden Sie im Portal www.nachsorge-ist-vorsorge.de.

 

Langzeitnachsorge im Portal kinderkrebsinfo

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Das Redaktionsteam von kinderkrebsinfo erstellt – in enger Zusammenarbeit mit LESS – sukzessive neue Seiten zum Thema Langzeitnachsorge. Gegenwärtig liegt ein Hauptaugenmerk auf der Bereitstellung von Informationen zu organbezogenen Spätfolgen nach einer Krebserkrankung, weitere Informationen sollen folgen. Sofern zu einem Krankheitsbild ausführliche Patienteninformationen vorliegen, beinhalten diese stets auch ein Kapitel zu den entsprechenden krankheits- und behandlungsbezogenen Spätfolgen.

Gemeinsam mit der Arbeitsgemeinschaft „Langzeitbeobachtungen“ der GPOH erfolgte vor über zehn Jahren zudem erstmalig eine systematische Umfrage nach Angeboten in der Nachsorge und Langzeitnachsorge in relevanten Einrichtungen. Das Ziel war, die Ergebnisse dieser Umfrage in einer auf kinderkrebsinfo verorteten Datenbank zu bündeln und ehemaligen Patienten, deren Angehörigen und anderen Interessierten zur Verfügung zu stellen. Seit 2014 haben Nutzer des Portals die Möglichkeit, sich gezielt über Nachsorge-Angebote im deutschsprachigen Raum zu informieren.

Alle verfügbaren Informationen zur Langzeitnachsorge finden Sie hier.

 

Wo gibt es Nachsorge-Einrichtungen?

Es gibt mittlerweile einige Spezialambulanzen für die Langzeitnachsorge. Sie sind in der Regel Teil eines Behandlungszentrums oder arbeiten eng mit einem solchen zusammen. Je nach Alter des ehemaligen Patienten sind entweder niedergelassene Kinder- und Jugendärzte oder Ärzte für Erwachsene zuständig.

Das Behandlungsteam wird Ihnen zum Ende der Krebstherapie mitteilen, wohin Sie oder Ihr Kind sich zur Nachsorge wenden sollten.

Weitere Informationen zu Langzeitnachsorge-Einrichtungen und -Sprechstunden finden Sie auf unserer seit 2014 verfügbaren Seite Nachsorge-Einrichtungen. Dort sind viele der derzeit vorhandenen Nachsorge-Angebote in Deutschland sowie auch Angebote in Österreich, Luxemburg und der Schweiz gezielt abrufbar. Die Beschreibung der Angebote beruht auf einer zuletzt Anfang 2024 durchgeführten Umfrage in verschiedensten Nachsorge-Einrichtungen (wie Kliniken, Beratungsstellen oder Elternvereinen) und soll auch in Zukunft durch Wiederholung solcher Umfragen in regelmäßigen Abständen aktualisiert und erweitert werden.

Auf den folgenden Seiten möchten wir ehemalige Patienten, ihre Angehörigen und Freunde sowie die interessierte Öffentlichkeit über wichtige Aspekte der Langzeitnachsorge informieren.

Literaturliste

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